Flüstern in der Nacht
Nachmittags hatte Joshua damit zugebracht, telefonisch einige der angesehensten Kunstschätzer Kaliforniens dazu zu bringen, nach St. Helena zu reisen, um dort die vielfältige und umfangreiche Kunst-Sammlung zu katalogisieren und zu bewerten, die die Familie Frye im Lauf der letzten sechs oder sieben Jahrzehnte anhäufte. Leo, der Patriarch, Katherines Vater, und nun seit vierzig Jahren tot, hatte damit begonnen – ihn interessierten damals die kunstvollen, handgefertigten hölzernen Zapfhähne, wie sie in europäischen Ländern an Bier- und Weinfässern benutzt wurden. Viele davon zeigten die Form von Köpfen, lachende, weinende, wutverzerrte, finster blickende Köpfe von Dämonen, Engeln, Clowns, Wölfen, Elfen, Kobolden, Hexen, Gnomen und anderen Geschöpfen. Zum Zeitpunkt seines Todes besaß Leo mehr als zweitausend solcher Zapfhähne. Katherine hatte schon zu Lebzeiten des Vaters an seiner Sammlertätigkeit Interesse gefunden und nach seinem Tode aus dieser Sammlung eine Art Lebensinhalt gemacht. Das Interesse am Erwerb schöner Dinge entwickelte sich bei ihr zu einer Leidenschaft und zu guter Letzt zur Manie. (Joshua erinnerte sich daran, wie ihre Augen jedesmal aufleuchteten und es ihr fast den Atem raubte, wenn sie ihm irgendeine Neuerwerbung zeigte; er wußte, daß ihr gehetzter Trieb, jedes Zimmer, jeden Schrank und jede Schublade mit schönen Dingen zu füllen, ins Ungesunde ausartete, aber schließlich hatte man den Reichen zu allen Zeiten ihre Exzentrizitäten und Verrücktheiten nach-gesehen, solange sie anderen Menschen nicht schadeten.)
Sie kaufte emaillierte Dosen, Landschaftsgemälde aus der Zeit der Jahrhundertwende, Tiffany-Lampen, antike Gemmen und viele andere Dinge, gar nicht so sehr, weil sie eine ausgezeichnete Anlage darstellten (was der Fall war), sondern, weil sie sie einfach haben wollte, sie brauchte, so wie ein Rauschgiftsüchtiger nach der nächsten Spritze greift. Sie stopfte ihr riesiges Haus mit Sammlergegenständen voll und verbrachte zahllose Stunden damit, sie zu putzen, zu polieren und in Schuß zu halten. Bruno behielt jene Tradition krankhafter Kaufwut bei, und jetzt waren beide Häuser – das, das Leo 1918 baute, und das andere, das Bruno vor fünf Jahren errichtet hatte – mit Schätzen bis unters Dach vollgestopft. Am Dienstag rief Joshua Kunstgalerien und angesehene Auktionshäuser in San Franzisko und Los Angeles an; alle waren erpicht darauf, ihre Gutachter zu schicken, weil die Verwertung der Frye-Sammlung eine fette Provision versprach. Zwei Männer aus San Franzisko und zwei aus Los Angeles würden am Samstagmorgen hier eintreffen, und Joshua war überzeugt, daß sie einige Tage dazu brauchen würden, um den Frye-Besitz zu katalogisieren; deshalb bestellte er ihnen gleich in einem nahen Gasthof Zimmer.
Am Dienstagnachmittag um 16.10 Uhr gelangte Joshua zu der Überzeugung, die Dinge jetzt im Griff zu haben, und versuchte deshalb, erstmals seit der Mitteilung über Brunos Tod, abzuschätzen, wie viel Zeit seine Verpflichtungen als Testamentsvollstrecker beanspruchen würden. Ursprünglich befürchtete er, es könnte sich um eine so komplizierte Erbschaft handeln, daß er Jahre oder zumindest viele Monate damit beschäftigt sein würde. Inzwischen aber hatte er das Testament (das er selbst vor fünf Jahren verfaßte) noch einmal durchgesehen, und war zu der Überzeugung gelangt – nachdem Brunos tüchtige Finanzberater ihren Klienten auch gut beraten hatten –, daß er die ganze Angelegenheit binnen einiger Wochen abwickeln könnte. Drei Faktoren, die bei einer mehrere Millionen Dollar-Erbschaft selten zusammentrafen, lagen vor: Zum ersten gab es keine lebenden Angehörigen, die das Testament anfechten oder sonstwie Schwierigkeiten machen konnten; zum zweiten schrieb das Testament eindeutig vor, daß der gesamte Betrag einer einzigen wohltätigen Einrichtung zugute kommen sollte, die im Testament klar erwähnt war; zum dritten hatte Bruno Frye für einen Mann seines Wohlstandes seine Investitionen recht einfach gehalten; so fand sein Testamentsvollstrecker eine ziemlich klar durchschaubare Bilanz mit leicht verständlichen Eintragungen auf der Soll- und Habenseite vor. Drei Wochen müßten genügen, allerhöchstens vier. Seit dem Tod seiner Frau Cora vor drei Jahren wußte Joshua aus ureigenster Erfahrung um die Kürze des Lebens und wachte daher sorgsam über seine Zeit. Er wollte keinen einzigen Tag vergeuden und vertrat deshalb die Ansicht, jede Minute,
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