Flüstern in der Nacht
Prozeß drohte, wenn eine der Leinwände versehentlich einen Flecken oder einen Riß bekäme. Hilary hatte Wyant eine kurze Mitteilung hinterlassen und ihm einiges zu dem Künstler erklärt; danach fuhren sie und Tony in Topelis' Büro, um Wally zu bitten, sie bei Warner Brothers zu entschuldigen. Jetzt waren sie fertig. Morgen, nach Frank Howards Beerdigung, würden sie den PSA-Flug, 11.50 Uhr nehmen und nach San Franzisko fliegen, von dort gab es eine Verbindung nach Napa.
Von dort wollten sie mit einem Mietwagen nach St. Helena weiterfahren.
Dann würden sie sich in Bruno Fryes Wirkungskreis befinden.
Und dann – was dann?
Tony parkte den Jeep und stellte den Motor ab. Hilary sagte: »Ich hab' ganz vergessen, dich zu fragen, ob du ein Hotelzimmer gefunden hast.«
»Wallys Sekretärin hat das erledigt, während du mit Wally in seinem Büro verhandelt hast.« »Am Flughafen?«
»Ja.«
»Hoffentlich keine Einzelbetten.« »Ein großes, Kingsize.«
»Gut«, meinte sie. »Ich möchte, daß du mich festhältst, während ich in den Schlaf sinke.«
Er beugte sich zu ihr hinüber und gab ihr einen Kuß. Sie brauchten zwanzig Minuten, um zwei Koffer für ihn zu packen, und anschließend trugen sie alle vier Koffer zum Jeep hinunter. Hilary schien die ganze Zeit überreizt und rechnete jeden Augenblick damit, daß Frye aus einem Winkel heraussprang oder plötzlich hinter einer Tür hervortrat und grinste. Aber das tat er nicht.
Sie fuhren auf Umwegen zum Flughafen, auf einer ungewöhnlichen Route, über Nebenstraßen mit zahlreichen Biegungen und durch viele Vororte. Hilary beobachtete die Fahrzeuge hinter ihnen.
Aber niemand verfolgte sie.
Sie erreichten das Hotel um halb acht, und Tony füllte die Karte in einem Anflug altmodischen Kavalierstums mit Mann und Frau aus.
Ihr Zimmer lag im achten Stock, ein ruhiges Zimmer, in Grün- und Blau-Tönen.
Als der Page ging, standen sie am Bett und umarmten sich eine Minute lang, teilten stumm ihre Müdigkeit und den Rest ihrer Kräfte miteinander.
Weder ihr noch ihm war danach, zum Essen wegzugehen. Tony bestellte beim Etagenservice und erhielt die Antwort, daß es etwa eine halbe Stunde dauern würde. Hilary und Tony duschten gemeinsam. Sie seiften sich ein und duschten sich gegenseitig ab, aber ohne etwas Sexuelles; sie waren zu müde für jegliche Art von Leidenschaft. Das gemeinsame Duschen verlief erholsam, zärtlich, liebevoll. Dann aßen sie belegte Brote und Pommes frites. Sie tranken eine halbe Flasche Rose-Wein. Sie unterhielten sich kurze Zeit.
Sie legten ein Handtuch über eine Lampe und ließen sie als Nachtlicht brennen, weil Hilary zum zweiten Mal in ihrem Leben Angst davor hatte, im Dunkeln zu schlafen.
Bald danach schliefen sie.
Acht Stunden später, um halb sechs Uhr morgens, erwachte sie aus einem schlimmen Traum, in dem Earl und Emma wieder zum Leben erwacht waren, ganz genau wie Bruno Frye. Sie verfolgten sie zu dritt durch einen dunklen Korridor, der immer enger und enger wurde ...
Sie konnte nicht mehr einschlafen und lag im bernsteinfarbenen Leuchten des improvisierten Nachtlichtes; schaute Tony beim Schlafen zu.
Um halb sieben wachte er auf, drehte sich zu ihr herum, blinzelte, berührte ihr Gesicht, ihre Brüste, und sie liebten sich. Eine kurze Weile vergaß sie Bruno Frye, aber nachher, als sie sich für Franks Begräbnis zurechtmachten, war die Furcht wieder da.
»Meinst du wirklich, daß wir nach St. Helena gehen sollten?« »Das müssen wir«, erklärte Tony. »Aber was wird dort mit uns passieren?« »Nichts«, sagte er. »Alles wird gutgehen.« »Da bin ich gar nicht sicher«, antwortete sie. »Wir werden herausfinden, was hier vorgeht.« »Das ist es ja«, meinte sie bedrückt. »Ich habe das Gefühl, es wäre besser, wenn wir das nicht wüßten.«
Katherine war weg. Das Miststück war weg. Das Miststück hielt sich irgendwo verborgen. Bruno erwachte am Dienstag um halb sieben Uhr abends in dem blauen Dodge-Lieferwagen, von dem Alptraum, an den er sich nie richtig erinnern konnte, aus dem Schlaf gerissen, von einem wortlosen Wispern bedroht. Irgend etwas kroch ihm über den ganzen Leib, über seine Arme, sein Gesicht, in sein Haar, sogar unter seine Kleidung und versuchte, in seinen Körper einzudringen, versuchte durch seine Ohren, seinen Mund und seine Nasenlöcher einzudringen. Irgend etwas unsagbar Widerwärtiges, Böses. Er schrie und kratzte wie wild an sich herum, bis er schließlich begriff, wo er sich befand; und
Weitere Kostenlose Bücher