Flüstern in der Nacht
gelehnt, wußte Frye, wie er ihn anpacken mußte. Pablo führte das Messer im langen, weiten Bogen, nicht kurz und kreisförmig wie die geübten Messerkämpfer. Deshalb gab es am Ende jedes Bogens, bevor die Klinge zurückkehrte, eine halbe Sekunde, vielleicht auch eine ganze , in der das Messer von ihm entfernt stehend keinerlei Gefahr darstellte, einen Augenblick, in dem Pablo verletzbar war. Während der Schlanke näherrückte, um zuzustoßen, überzeugt, sein Gegner wisse jetzt keinen Ausweg mehr, kalkulierte Frye einen dieser Bögen aus und sprang genau im richtigen Moment nach vorn, packte Pablo am Handgelenk, drückte zu, drehte seinen Arm herum und drückte ihn nach hinten. Der Schlanke schrie schmerzerfüllt auf. Das Messer flog aus seiner Hand. Frye trat hinter ihn, legte ihm den Arm um den Hals und stieß ihn, mit dem Gesicht voraus, gegen das Heck des Kombis. Er verdrehte Pablo den Arm noch weiter, drückte dessen Hand über die Schulterblätter hinaus, bis es so aussah, als müßte jeden Augenblick irgend etwas abbrechen. Mit der anderen Hand packte Frye den Mann am Hosenboden, hob die ganzen sechzig Kilo buchstäblich in die Höhe und schmetterte ihn ein zweites Mal gegen den Wagen, dann ein drittes, ein viertes, ein fünftes und ein sechstes Mal, bis Pablo zu schreien aufhörte. Als er den Mann schließlich losließ, sackte der wie ein Bündel Lumpen zu Boden.
Miguel hatte sich inzwischen auf Händen und Knien hochgearbeitet. Er spuckte Blut und weißglitzernde Zahnsplitter auf den schwarzen Asphalt. Frye ging auf ihn zu.
»Du versuchst wohl hochzukommen, Freundchen?« Leise vor sich hinlachend, trat Frye auf Miguels Finger. Er drehte mahlend seinen Absatz auf der Hand des Mannes hin und her und trat dann zurück.
Miguel stieß einen schrillen Schrei aus und fiel zur Seite. Frye trat ihm in den Leib.
Miguel verlor das Bewußtsein nicht, schloß aber die Augen in der Hoffnung, Frye würde ihn dann in Ruhe lassen. Frye fühlte sich wie von Elektrizität durchströmt, von einer Million Milliarden Volt, die von einer Nervenbahn zur anderen zuckten, heiß, knisternd und funkend, ohne ein schmerzliches Gefühl zu verursachen. Vielmehr durchlebte Frye ein wildes, erregendes Erlebnis, als hätte ihn der Allmächtige berührt und mit dem schönsten und hellsten Licht erfüllt. Miguel schlug die angeschwollenen dunklen Augen auf. »Hast wohl genug?« fragte Frye.
»Bitte!« stieß Miguel zwischen seinen aufgeplatzten Lippen hervor.
Von einem wilden Hochgefühl erfüllt, setzte Frye den Fuß auf Miguels Hals und zwang ihn, sich auf den Rücken zu rollen. »Bitte!«
Frye nahm den Fuß vom Hals des Mannes. »Bitte!«
Vom Hochgefühl seiner Macht erfüllt, schwebend, fliegend, trat Frye Miguel in die Rippen. Miguel erstickte an seinem eigenen Schrei. Ausgelassen lachend versetzte Frye ihm noch einige Tritte, bis ein paar Rippen hörbar knackten.
Und jetzt begann Miguel mit etwas, was er die letzten paar Minuten mannhaft unterdrückt hatte: Er fing zu weinen an. Frye kehrte zu seinem Kombi zurück.
Pablo lag neben den Hinterrädern auf dem Boden, flach auf dem Rücken, bewußtlos. Frye sagte »Ja, ja, ja, ja, ja«, konnte gar nicht aufhören, umkreiste Pablo, trat ihm gegen die Waden, die Knie, die Schenkel, die Hüften und die Rippen. Ein Wagen kam von der Straße heran, aber der Fahrer sah, was im Gange war, legte blitzschnell den Rückwärtsgang ein und schoß davon, so daß die Reifen quietschten. Frye zerrte Pablo zu Miguel hinüber, legte sie nebeneinander, damit sie seinem Wagen ja nicht den Weg versperrten. Er wollte niemanden überfahren. Er wollte die beiden auch nicht töten, denn zu viele Leute in der Bar hatten ihn gesehen. Die Behörden würden den Gewinner einer ganz gewöhnlichen Prügelei sicher nicht verfolgen, besonders dann nicht, wenn die Verlierer sich offenbar zu zweit gegen einen Betrunkenen zusammengetan hatten. Aber einen Killer würde die Polizei verfolgen, deshalb sorgte Frye dafür, daß Miguel und Pablo in Sicherheit waren.
Vergnügt vor sich hinpfeifend, fuhr er nach Marina Del Rey zurück und hielt bei der ersten offenen Tankstelle auf der rechten Straßenseite an. Während der Tankwart Benzin nachfüllte, das Öl nachsah und die Scheiben säuberte, ging Frye auf die Herrentoilette. Er nahm sein Rasierzeug mit und verbrachte zehn Minuten damit, sich frischzumachen. Auf Reisen pflegte er stets im Kombi zu schlafen, auch wenn campen bequemer war und trotz des fehlenden
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