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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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umgebaut, andere Gutshöfe waren modern und neu erbaut worden. Gott sei Dank, dachte Joshua, hatten sich nur einige wenige neuere Weingüter für den sterilen Fabrikstil entschieden, der das Auge beleidigte und für das Tal eine Krankheit bedeutete. Der größte Teil der von Menschenhand geschaffenen Gebäude ergänzte die wahrhaft atemberaubende natürliche Schönheit dieses einmaligen idyllischen Ortes oder er beleidigte sie zumindest nicht. Joshua folgte dem Leichenwagen zum Forever View weiter, sah aber, wie aus den Fenstern der Häuser Licht aufleuchtete, weiches, gelbes Licht, das der herannahenden Nacht ein Gefühl der Wärme und Zivilisation verlieh. Der Wein ist in der Tat in Flaschen gefüllte Poesie, dachte Joshua, und das Land, auf dem er wächst, zeigt Gottes größtes Kunstwerk; mein Land; meine Heimat; wie glücklich bin ich doch, hier leben zu dürfen; wo es doch so viele weniger schöne, weniger bezaubernde und weniger angenehme Orte gibt; auch dorthin hätte das Schicksal mich führen können. Wie in einem Sarg aus Aluminium, tot. Das Gebäude des Forever View befand sich etwa hundert Meter neben der zweispurigen Straße, südlich von St. Helena, ein großes weißes Haus im Kolonialstil mit einer kreisförmigen Zufahrt und einer von Hand gemalten grün-weißen Tafel. Bei Einbruch der Dunkelheit schaltete sich automatisch ein einzelner weißer Scheinwerfer ein und bestrahlte die Tafel mit weichem Licht. Eine Reihe elektrischer Kutschenlampen hüllte die kreisförmige Zufahrt zusätzlich in bernsteinfarbenes Licht.
    Auch am Forever View warteten keine Reporter. Joshua schien zufrieden, daß die Presse von Napa County offenbar seine starke Aversion bezüglich unnötiger Publicity teilte. Tannerton fuhr mit dem Leichenwagen zum Hintereingang des riesigen weißen Hauses. Er und Olmstead schoben den Sarg auf einen Karren und rollten ihn ins Gebäude. Joshua folgte ihnen in den Arbeitsraum. Man hatte große Mühe darauf verwendet, dem Saal eine einigermaßen freundliche Note zu geben. Die Decke zierten hübsch strukturierte Akustikkacheln, die Wände waren in hellem Baby-Blau gehalten, so als müßten sie neues Leben ausstrahlen. Tannerton knipste den Wandschalter an, und sanfte Musik quoll aus Stereo-Lautsprechern, muntere, aufbauende Musik, nicht getragen, nichts Schweres. Trotz Avril Tannertons Bemühungen, dem Raum eine Aura der Behaglichkeit zu verleihen, roch es für Joshua hier nach Tod. Der beißende Geruch von Balsamierflüssigkeit hing in der Luft, und ein Nelkenduft aus einer Aerosol-Dose, der ihn sogleich an Leichensträuße erinnerte. Der Boden war mit glänzend-weißen keramischen frisch geschrubbten Kacheln belegt, ein wenig schlüpfrig für Leute, die keine Gummisohlen trugen; Tannerton und Gary Olmstead trugen welche, nicht aber Joshua. Zuerst vermittelten die Kacheln den Eindruck von Offenheit und Sauberkeit. Aber dann wurde Joshua bewußt, daß der Boden in Wirklichkeit nur der Zweckmäßigkeit diente; seine Oberfläche mußte den zu Korrosion führenden Substanzen wie heruntertropfendem Blut, Galle und schädlicheren Substanzen widerstehen. Tannertons Klienten, die Verwandten der Verblichenen, würden diesen Raum wohl nie zu sehen bekommen, denn die bittere Wahrheit des Todes schien hier allzu offenkundig. Im vorderen Teil des Hauses, dort, wo die Aufbahrungssäle mit schweren weinroten Samtvorhängen, Plüschteppichen und dunklen Holzvertäfelungen dekoriert waren, bei dezenter Beleuchtung und kunstvollen Arrangements konnte man die Formeln »hingeschieden« und »von Gott heimgerufen« ernstnehmen; in den vorderen Räumen ermunterte die Atmosphäre zum Glauben an den Himmel und die Auferstehung des Geistes. Aber in diesem Arbeitsraum mit dem Fliesenboden, dem Balsamgeruch in der Luft und der funkelnden Anordnung von Instrumenten, die auf einem Emailletablett bereitlagen, schien der Tod deprimierend klinisch und fraglos endgültig zu sein.
    Olmstead klappte den Aluminiumsarg auf. Avril Tannerton schlug das Leichentuch zurück, so daß man die Leiche von den Hüften aufwärts sehen konnte. Joshua schaute die wächsern-gelbgraue Leiche an und schauderte. »Grauenhaft.«
    »Ich weiß, daß das für Sie belastend sein muß«, meinte Tannerton mit geübt tragischem Tonfall.
    »Überhaupt nicht«, entgegnete Joshua. »Ich will nicht scheinheilig sein und so tun, als würde ich leiden. Ich habe sehr wenig über diesen Mann gewußt, und das Wenige hat mir nicht sonderlich gefallen. Unsere

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