Flüstern in der Nacht
der Wind, der durch die Büsche und Bäume fegt und ein paar Blätter oder eine Zeitung vor sich hertreibt.
Doch dann bewegte es sich wieder. Diesmal sah er es. Es stand geduckt vor den Sträuchern, die die Garage säumten. Er konnte keine Einzelheiten erkennen, nur einen Schatten, ein hellerer, purpurschwarzer Fleck auf dem blauschwarzen Tuch der Nacht, weich und Undefiniert wie all die anderen Schatten – nur im Unterschied dazu bewegte sich dieser Schatten. Bloß ein Hund, dachte Joshua. Ein streunender Hund. Oder vielleicht ein Kind, das irgendeinen Streich ausgeheckt hat. »Ist da jemand?« Keine Antwort.
Er entfernte sich ein paar Schritte von seinem Wagen. Das schattenhafte Ding huschte drei oder vier Meter zurück, an den Sträuchern entlang. Dann hielt es in einem tiefschwarzen Schattentümpel an, immer noch geduckt und wachsam. Das ist kein Hund, dachte Joshua. Zu groß für einen Hund. Irgendein Bursche mit Unfug im Sinn.
»Wer ist da?« Stille.
»Jetzt kommen Sie schon.« Keine Antwort. Nur der wispernde Wind. Joshua strebte auf die Schatten zwischen den Schatten zu, aber dann ließ ihn plötzlich die instinktive Erkenntnis innehalten; das Ding war gefährlich. Schrecklich gefährlich. Tödlich. Er nahm all die unwillkürlichen animalischen Reaktionen auf eine solche Drohung war: ein Frösteln, ein Prickeln auf der Kopfhaut. Dann das Schnellerwerden seines Herzschlages, das Austrocknen seines Mundes; seine Hände krümmten sich zu klauenartigen Gebilden; sein Gehörsinn erschien ihm nun schärfer als noch vor einer Minute. Joshua duckte sich etwas, zog die breiten Schultern ein, nahm unbewußt Verteidigungshaltung ein.
»Wer ist da?« wiederholte er.
Das Schattending drehte sich um und bahnte sich seinen Weg durch die Sträucher. Es rannte querfeldein über die Weingärten, die an Avril Tannertons Anwesen grenzten. Ein paar Sekunden lang konnte Joshua Geräusche ausmachen, die das Ding bei seiner Flucht erzeugte, das sich entfernende Klatschen schwerer Schritte und das verhallende Rasseln seines Atems. Dann hörte er wieder nur den Wind. Er kehrte zum Wagen zurück, drehte sich aber immer wieder um. Er stieg ein, schloß die Tür, versperrte sie. Jetzt kam ihm das soeben Erlebte schon unwirklich vor, fast wie ein Traum. War da tatsächlich in der Finsternis jemand gewesen, der auf ihn wartete, ihn beobachtete? Lauerte dort draußen etwas Gefährliches oder entsprang das alles nur seiner Phantasie? Nach einer halben Stunde in Avril Tannertons Werkstätte war es wohl keine Wunder, daß man bei fremdartigen Geräuschen zusammenzuckte und nach monströsen Schattengeschöpfen suchte. Während Joshuas Muskeln sich entspannten und sein Herzschlag sich verlangsamte, glaubte er allmählich, sich wie eine Narr benommen zu haben. Die Drohung, die er so plastisch empfunden hatte, erschien ihm rückwirkend wie ein Phantom, eine Ausgeburt der Nacht und des Windes.
Schlimmstenfalls handelte es sich um einen jungen Burschen, irgendeinen Halbwüchsigen, der etwas im Schilde führte. Er ließ den Wagen an und fuhr nach Hause, überrascht und amüsiert über die Wirkung, die Tannertons gefliester Arbeitsraum auf ihn gehabt hatte.
Am Samstagabend Punkt sieben Uhr traf Anthony Clemenza mit seinem blauen Jeep Station Wagon vor Hilarys Haus in Westwood ein.
Hilary kam ihm entgegen. Sie trug ein enganliegendes smaragdgrünes Seidenkleid mit langen engen Ärmeln und einem Ausschnitt, tief genug, um verlockend zu wirken, aber keineswegs billig. Sie war seit mehr als vierzehn Monaten nicht mehr mit einem Mann ausgegangen und hatte beinahe verlernt, sich dem Ritual der Werbung entsprechend zu kleiden; zwei Stunden lang hatte sie überlegt, was sie anziehen sollte, so unschlüssig wie ein Schulmädchen. Sie hatte Tonys Einladung angenommen, weil er der interessanteste Mann schien, der ihr in den letzten Jahren begegnet war – außerdem wollte sie auch mit Nachdruck gegen ihre Neigung ankämpfen, sich vor dem Rest der Welt zu verstecken. Wally Topelis' Worte hatten sie nachdenklich gestimmt, seine Warnung, sie würde die Tugend der Selbständigkeit nur als Vorwand benutzen, um sich vor den Menschen zu verstecken. Sie mußte erkennen, daß in seinen Aussagen sehr viel Wahres steckte. Sie vermied es, Freundschaften zu schließen oder sich auf irgendwelche Liebesbeziehungen einzulassen, weil sie Angst hatte vor der Pein, die einem nur Freunde oder Liebhaber zufügen konnten, entweder durch Ablehnung oder durch Verrat.
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