Fluesterndes Gold
ich von meinem Dad, die ganze Nacht lang. Er steht am Ende von Bettys Einfahrt. Es schneit. Im Schnee sind die Abdrücke riesiger Pfoten. Sein Mund steht offen, aber es kommt kein Ton heraus.
Ich zwinge mich dazu aufzuwachen. In meinem Zimmer ist es kalt. Der Wind drückt die Zweige der Bäume gegen das Haus, und sie streifen mit kratzendem Geräusch an der Wand entlang. Ich schalte die Lampe neben meinem Bett an und versuche, nicht in Panik zu geraten.
»Es ist nur ein Traum«, flüstere ich, aber als mein Dad gestorben ist war es wirklich so: Sein Mund hat sich bewegt, aber es ist kein Ton rausgekommen.
Wir kamen an diesem Tag gerade von unserer täglichen Morgenrunde heim. Wir liefen damals immer vor dem Frühstück, bevor die drückende Hitze in Charleston das Laufen noch viel anstrengender machte. Beim Laufen unterhielten wir uns über gleichgeschlechtliche Ehen. Er hatte mich ermuntert, die Briefe für Amnesty International zu schreiben. Das war ungefähr, als ich in die erste Klasse ging und Schreiben langweilig und blöd fand, nur Zeitverschwendung. Da setzte er sich mit mir an den Esstisch und erzählte mir von Menschen, denen es sehr schlecht ging. Schreiben sei niemals Zeitverschwendung, erklärte er mir, und da schrieb ich meinen ersten Brief.
Aber an dem Tag, als er starb, sprachen wir nicht über Amnesty International, sondern über seine Freunde Dave und Don. Don war Künstler und brauchte eine Krankenversicherung, aber Daves Firma nahm ihn nicht mit in die Versicherung hinein. Mein Dad schloss die Tür auf und ließ uns ins Haus.
»Es ist einfach lächerlich. Hol mir was zu trinken, Liebes«, sagte er lächelnd. Er beugte sich vornüber, um wieder zu Atem zu kommen, und stützte sich auf den Knien ab, damit er nicht das Gleichgewicht verlor. Seine Red-Sox-Kappe hatte er schon abgesetzt, und das silbergraue Haar darunter war schweißnass.
Ich holte zwei Flaschen Wasser aus dem Kühlschrank und drehte mich um. Dann war es, als sei mein Dad nicht mehr da. Anders kann ich es nicht beschreiben. Er krümmte sich zusammen. Seine sonst eher rötliche Haut wurde grau und weiß.
»Daddy?«
Er antwortete nicht, sondern hob die Hand, als wolle er mich damit verscheuchen. Dann zeigte er in Richtung Spüle. »Das Fenster. Er ist … Ich hab ihn gesehen. Lauf.«
»Was?«, fragte ich.
»Er darf dich nicht …«
»Daddy?«
Ich wollte mich gerade umdrehen und zum Fenster hinausschauen, da fiel er auf die Seite. Sein Mund stand weit offen, und er versuchte, nach Luft zu schnappen. Sein Blut wusste nicht, was es tun sollte, denn sein Herz hatte ihn im Stich gelassen.
Ich ließ die Wasserflaschen auf den Boden fallen. Eine rollte bis zu seinem Schuh, die andere zurück zum Kühlschrank. Vermutlich, um sich zu verstecken. Mein eigenes Herz geriet völlig außer Kontrolle und schlug in bizarren Rhythmen gegen meine Rippen. Ich fasste nach seiner Hand und ergriff sie. Er erwiderte meinen Händedruck, aber nur ganz leicht, nicht kraftvoll und fest wie sonst.
»Mom!«, schrie ich. »Mom!«
Sie stürzte die Treppe herab und blieb am Eingang zur Küche stehen. Sie sog die Luft ein und hielt sich an der großen Palme neben der Spüle fest. Ihre Worte kamen flüsternd: »Er hat einen Herzanfall.«
Da blieb auch mein Herz stehen. Die Augen meines Dads weiteten sich, und er sah mich flehend an. Niemals zuvor hatte er mich so angesehen. Sein Mund bewegte sich. Kein Ton kam heraus.
In der Schule hocken Issie und ich beim Lunch zusammen, ebenso in allen Kursen, die wir beide belegt haben. In der Cafeteria gesellt sich noch Devyn zu uns, und er und Issie lachen so viel über die albernsten Dinge, dass es schwer ist, nicht mit ihnen mitzulachen, auch wenn ich mich zurückhalte, um sicherzustellen, dass ich nicht allzu durchschaubar werde.
Es fällt echt schwer, den beiden böse zu sein, weil sie zusammen so süß sind.
»Also«, sage ich. »ich denke, ich kann eure Elfengeschichte glauben.«
Ich kaue an meinem Bagel. »Gestern bin ich stecken geblieben. Bin von der Straße abgekommen.«
»Nick hat’s uns erzählt«, berichtet Devyn.
»Hat er euch auch von dem Staub erzählt?«, frage ich und sehe zu, wie Devyn sich über ein Roastbeef-Sandwich hermacht.
»Hmmm«, antwortet er mit vollem Mund.
»Es ist schon unheimlich«, sage ich. »Vor allem, weil letzte Woche noch der Junge verschwunden ist. Ich glaube, das hängt alles zusammen.«
»Du weißt von Brian Beardsley?«, fragt Issie.
»Betty hat mir erzählt,
Weitere Kostenlose Bücher