Flug in Die Nacht
Meldung löste allgemeines Gemurmel aus. Mehrere der Vereinten Stabschefs rutschten in ihren Sesseln hin und her, als machten sie sich innerlich auf weitere Hiobsbotschaften gefaßt. Paul Cesare schüttelte den Kopf, als wolle er seinen Ohren nicht trauen.
Nun, dachte Wilbur Curtis, die Krise ist also viel früher da, als wir erwartet haben. Und weil der Stabschef des Präsidenten hier saß, würde die Nachricht schneller die Runde machen, als Curtis reagieren konnte. Noch bevor der Präsident von dieser Krise erfuhr, brauchte er eine Liste mit Optionen, die er der National Command Authority vorlegen konnte. Ohne Aktionsplan würden die Vereinten Stabschefs wie eine Ansammlung von Idioten aussehen. Geriet die Sache jetzt außer Kontrolle, konnte Curtis von Glück sagen, wenn er diesen Tag als Vorsitzender der Vereinten Stabschefs überlebte. »Augenblick, Kapitän.« Curtis wandte sich an Cesare. »Mr. Cesare, was genau tun Sie hier?«
Curtis hatte erwartet, daß der wichtigste Mitarbeiter des Präsidenten aufbrausen würde – Cesare war ohne weiteres befugt, alles mitzuhören, was im NMCC besprochen würde –, aber zu seiner Überraschung reagierte Cesare verlegen und antwortete nur stockend.
»Äh … ich habe erfahren, daß eine Gruppe von Senatoren um dreizehn Uhr einen Termin beim Verteidigungsminister hat«, sagte er lahm. »Wegen der Philippinenkrise und der Chinesen … wegen unserer militärischen Optionen, irgendwas in dieser Richtung. Die Senatoren wollen verhindern, daß der Präsident Truppen nach Südostasien schickt – sie fürchten, daraus könnte ein zweiter Vietnamkrieg oder der Dritte Weltkrieg entstehen. Sie drängen Secretary Preston – und dadurch auch den Präsidenten –, alle Streitkräfte von den Philippinen abzuziehen. Preston, der eine Gratwanderung versucht, ist der Meinung gewesen, ein Treffen hier wäre …
etwas leichter vor der Öffentlichkeit und den Medien abzuschirmen … als drüben im Kapitol oder bei ihm im Ministerium.«
Curtis glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Das Weiße Haus versuchte wieder einmal, das Pentagon in eine politische Schlammschlacht hineinzuziehen. Typisch für diese Politiker!
Er wandte sich an Cesare. »Alles schön und gut, Mr. Cesare – aber das erklärt noch nicht, was Sie hier tun.«
»Äh … nun, ich sammle Informationen. Damit, äh, der Präsident vernünftig argumentieren kann, wenn die Senatoren ihn bedrängen.«
Admiral Cunningham, der Chef des Admiralstabs, räusperte sich diskret. Wilbur Curtis spürte die Blicke seiner Kollegen und ihrer Mitarbeiter auf sich: Sie drängten ihn stillschweigend, sich auf die Bewältigung dieser Krise zu konzentrieren – die Sache mit Cesare mußte warten. »Sie werden später ausführlich informiert, Mr. Cesare, aber vorläufig ist Ihr Platz auf dem Balkon.«
»Danke, ich möchte lieber bleiben und … «
»Mr. Cesare … «
»General … «
Curtis winkte Sergeant Major Jefferson heran. Der oberste NMCC-Sicherheitsbeamte baute sich sofort vor Cesare auf.»Jake, Sie begleiten Mr. Cesare bitte auf den Besucherbalkon und kontrollieren noch mal die Berechtigungsausweise aller dort oben Anwesenden.«
Cesare stand auf. »Der Präsident erwartet einen vollständigen Bericht … «
»Den bekommt er auch«, versicherte Curtis ihm. Er wandte sich an seinen neben ihm sitzenden Fernmeldeoffizier.
»Verbinden Sie mich mit dem Präsidenten, Prioritätsstufe zwei.« Im Sprachgebrauch des Pentagons bezeichneten Ziffern nicht-nukleare und Farben nukleare Vorfälle. Eins war die höchste konventionelle Gefahrenstufe bei Militärangriffen oder Terroranschlägen auf die kontinentalen Vereinigten Staaten, ihre Territorien oder Stützpunkte. Zwei blieb für Großangriffe auf amerikanische Stützpunkte in Übersee, Konsulate und Botschaften, Kriegsschiffe oder Zivilpersonen reserviert. Die Prioritätsstufe Rot bedeutete einen Atomangriff auf die Vereinigten Staaten; sie wurde niemals bei Übungen oder Probealarmen benützt.
Dann drehte Curtis sich mit der Andeutung eines Lächelns nach Cesare um. »Schönen Tag noch, Mr. Cesare. Sergeant Jefferson begleitet Sie hinauf.« Curtis nickte zum Ausgang hinüber. Der Sicherheitsbeamte ließ Cesare den Vortritt und begleitete ihn hinaus.
Der Vorsitzende der Vereinten Stabschefs wandte sich wieder den Großbildschirmen zu, aber was er von Cesare erfahren hatte, beschäftigte ihn noch immer. Ihre Überwachungsaktion auf den Philippinen war aufs höchste gefährdet,
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