Flug ins Feuer
Nacht schließlich auch noch den Bach und hatte dabei nur den gelegentlichen Schrei eines Coyoten oder einer Eule als Gesellschaft. Es war still und dunkel, und das Wasser fühlte sich kalt an, was genau das Richtige für sie war.
Griffins Worte hallten in ihrem Kopf wider, über seine
Bereitschaft, sie zu lehren, ihr Herz zu riskieren. Das war das Letzte, was sie wollte oder brauchte.
Aber Herrgott, war sie einsam.
Es war lange her, dass sie sich so gefühlt hatte, vielleicht nicht mehr seit ihrer Schulzeit, einer Zeit, in der ihr Großvater gewöhnlich bis spät in der Nacht gearbeitet und sie leider sehr häufig allein gelassen hatte. Damals hatte sie niemanden zur Gesellschaft, nicht einmal ein Haustier. Haustiere brauchten ein stabiles Zuhause, etwas, was sie nicht gehabt hatten.
Sie hatte sich daran gewöhnt, nur sich selbst zu haben, und hatte immer seltener einen Gedanken darüber verschwendet.
Aber jetzt dachte sie darüber nach. Sie planschte im Wasser und dachte an Griffin. Er hatte selbst zugegeben, dass er verkorkst war. Sie kannte seine Vergangenheit nicht, nur dass er offenbar etwas Schreckliches, Tragisches erlebt haben musste. Einen Verlust.
Und dennoch war er bereit gewesen, alles erneut zu riskieren und mit ihr in dieser Nacht zusammen zu sein.
Sie hatte auch Verluste erlitten in ihrem Leben. Und sie war nicht bereit, ihr Herz ein weiteres Mal zu riskieren, egal, über welche Qualitäten als Lehrer er verfügte.
Es gefiel ihr nicht, was er über sie gesagt hatte, aber es gab keinen Zweifel. Griffin jagte ihr Angst ein. Er war anders, und so anziehend es einerseits war, so sehr verlangte es andererseits nach Distanz. Natürlich ging es dabei um mentale Distanz, aber darin war sie gut, wirklich gut.
9
Nina Farrell saß am Bachufer und wartete darauf, dass Lyndie ihr nächtliches Bad beendete. Sie fand es nicht sonderbar, dass ihre Freundin im Bach badete, das hatte sie selbst auch schon einige Male getan. Nein, merkwürdig war, dass Lyndie jetzt – sie überprüfte ihre schicke Armbanduhr, die so elegant und amerikanisch aussah an ihrem Handgelenk und die sie sich so lange gewünscht hatte, bis Lyndie sie ihr vergangene Weihnachten geschenkt hatte – um Mitternacht immer noch auf war.
Interessant.
Jeder wusste, dass Lyndie nie spät ins Bett ging, sondern lieber mit der ersten Morgenröte aus dem Bett hüpfte und sich natürlich gleich in die Arbeit stürzte.
Bei Lyndie ging es immer nur um Arbeit, aber trotz ihrer strengen persönlichen Grundsätze liebte Nina sie.
Obwohl Arbeit eher der Fluch von Ninas Existenz war.
Sicher, sie war die geliebte Tochter von Tom Farrell, eines Mannes, den jeder in der Stadt respektierte trotz seiner weißen Haut und der schrecklichen Ungeschicklichkeit beim Fliegenfischen. Und sicher, sie hatte einen relativ leichten Job im Vergleich zu vielen Frauen ihres Alters im ländlichen Mexiko. Sie führte eine Cantina, die ihre Großtante Lupe gegründet hatte. Die Arbeitszeiten kamen ihr entgegen, die Leute, mit denen sie zu tun hatte, gefielen ihr, und auch die Bezahlung war okay.
Sie hasste es nur, dreiundzwanzig zu sein und das Gefühl zu haben, dass ihr Leben bereits wie in Stein gemeißelt vor ihr lag. Sie lebte an einem von der übrigen Welt völlig isolierten Ort, was hieß, dass sie heiraten, zu viele Babys bekommen
und wie ein Pferd schuften würde, bis sie alle Zähne verlöre und eine Last für all die Kinder wäre, die sie in die Welt setzen würde.
Nein, danke. Auf ein solches Leben konnte sie verzichten, sie wollte ein eigenes. Es war ja nicht so, dass sie Kinder nicht mochte. Das tat sie durchaus. Sie wollte sie nur unterrichten, nicht unbedingt selber bekommen. Und zwar in den Staaten, in dem Land, in dem man tun und lassen konnte, was man wollte. Sie wollte alles, was mit ihrer halb amerikanischen Herkunft verbunden war: die Sprache, die Musik, die Filme, eben alles. Sie liebte es so sehr, dass sie ihren Vater schon vor Jahren gebeten hatte, ihr Englisch beizubringen, und sie war stolz darauf, es fließend zu sprechen.
Wenn sie doch nur so gut lesen wie sprechen könnte, dann wäre sie endlich frei.
Nichts wünschte sie sich mehr, als in den Staaten ein College zu besuchen, aber als sie vor fünf Jahren die Highschool verlassen hatte, hatte ein Blick in die hoffnungsvollen, erwartungsvollen Augen ihres Vaters genügt, um die Wahrheit zu erkennen. Er würde sie nicht gehen lassen.
Normalerweise hätte sie das nicht aufgehalten, aber sie
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