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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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Eingeschläferte Hirnzellen, morgen würde sie wieder aufwachen. Zum Schluß graue warme Gleichgültigkeit, die sich enger um sie schloß. Na und, was wär schon dabei, sie würde es nicht merken. Nur das Kind …
    Obwohl die Betäubung ihr widerwärtig war und sie ängstigte, beendete sie mit ihr fast jeden Abend ohne Christian, wenn die Minuten auf sie fielen wie Wassertropfen, regelmäßig und stumpfsinnig.
    Morgens wachte sie schwer auf. Die Taubheit der Glieder und des Kopfes hielt länger an, als die Arzneimittelproduzenten es auf dem der Packung beiliegenden Zettel versprachen. Nur langsam, nach kaltem Duschen und einem starken Kaffee, kam Josefa zu sich. Trotzdem nahm sie die ersten Stunden des Tages nur flüchtig wahr, wie eine Landschaft aus einem fahrenden Zug. Die Zeit bis zum Mittag verging schneller als sonst, was sie als angenehm empfand.
    Jauer beobachtete sie an solchen Tagen mit merkwürdigem Interesse, und Luise fragte, ob sie krank sei, sie hätte so fiebrige Augen. Josefa war sofort in den Waschraum gegangen und hatte ihre Augen im Spiegel kontrolliert. Es stimmte, sie glänzten fiebrig, und die Pupillen waren weit geöffnet, wie Jauers Augen, bevor man ihn behandelt hatte. Josefa erschrak, beruhigte sich aber zugleich mit der Überlegung, Jauer hätte das Zeug schließlich jahrelang und in großen Mengen geschluckt, nicht nur gelegentlich wie sie. Sobald sie den Ärger mit Strutzer hinter sich hätte oder sobald Christian wieder öfter Zeit hätte für sie, würde sie darauf auch verzichten können. Noch zwei, drei Wochen, und es würde vorbei sein.
    An einem Sonntag, den Christian und Josefa gemeinsam hatten verbringen wollen, rief Christian vormittags an. Er könne nicht kommen, sagte er. Er müsse am Montag die Thesen zu seiner Dissertation liefern, müsse nicht nur, wolle das auch. Es sei nicht zu schaffen, und Josefa müsse verstehen.
    Josefa hatte gekocht, diesmal sogar keine Spaghetti mit Tomatensauce, sondern ein ordentliches Essen, Hammelfleisch mit grünen Bohnen und Klößen. Sie hatte sich am Freitag beim Fleischer angestellt, was ihr, eingezwängt zwischen fremden Bäuchen und Hintern, als unzumutbares Opfer erschienen war. Aber sie hatte ausgehalten, war nicht zum Konservenstand gegangen, um zwei oder drei Gläser Hammelgulasch in ihren Einkaufskorb zu legen, obwohl sie und das Kind an Wochenenden noch nie etwas anderes gegessen hatten als Büchsenfleisch. Sie hatte sich von Luise, die als hervorragende Köchin galt, das Rezept für Kartoffelklöße aufschreiben lassen, stand seit einer Stunde in der Küche, rieb Kartoffeln und begoß den Hammel.
    »Aber du kommst doch zum Essen«, sagte sie.
    »Das hat keinen Zweck«, sagte Christian, »wenn ich erst mal da bin, bleib ich auch, das weißt du doch.«
    »Dann bleibst du eben nicht«, sagte Josefa. Sie wußte, daß alle Versuche, ihn zu überreden, sinnlos waren, sagte knapp: Na gut, dann nicht, legte auf, schaltete den Backofen und das heiße Wasser für die Klöße aus, briet für das Kind Spiegeleier, aß selbst nichts, nahm zwei Tabletten aus dem Röhrchen und legte sich ins Bett.
    Dem Kind, das sich mit einem Bilderbuch neben sie legte, sagte sie, es solle fernsehen, falls es vor ihr aufwache. Das Trommeln des Regens an den Fenstern schmolz zu einem dumpfen Dröhnen. Josefa rollte sich dicht an das Kind, dessen leise röchelnder Atem, der von der dauernden Bronchitis herrührte, sie seltsam tröstete. Sie legte ihm die Hand auf die Brust, um den nervösen Husten zu beruhigen. »Bald ist Frühling«, sagte sie, »dann geht der Husten weg.«
    »Versteckst du die Ostereier wieder im Park?« fragte das Kind.
    »Bestimmt. Und jetzt schlafen wir.«
    Das Kind schlief schnell ein, und Josefa betrachtete es lange, wie es, den Kopf seitlich und mit eigenwillig vorgestrecktem Kinn, die lockeren Fäuste links und rechts vom Kopf, neben ihr lag. Napoleon, dachte sie, auch ein Mann. Und eines Tages schläft er mit Frauen und sagt ihnen am Telefon, daß sie umsonst gekocht haben.
    Allmählich breitete sich die schläfrige Empfindungslosigkeit über Josefa aus. Nur das Geräusch des Regens schwoll bedrohlich an, schluckte den Rickertschen Staubsauger und den Atem des Kindes, war ein einziges Geräusch auf der Erde, dumpf und dröhnend, eine Armee im Gleichschritt. Josefa erinnerte ein Bild: sie, zehnjährig, auch damals ihr Bett am Fenster. Draußen unter dem Fenster eine Straßenbahnhaltestelle, wartende Menschen im Regen, der wie eine Wand

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