Flugasche
Couch und Tisch ab, er suchte seine Brille. »Deine Wohnung ist auch viel zu klein für drei«, sagte er, »ich komme hier nicht zum Arbeiten, lese nicht mehr. Gerade mal die Zeitung. Dafür reicht’s. Hast du meine Brille nicht gesehn?«
Josefa zog ihre Füße auf den Sessel, als würde sie ihn so weniger beim Suchen stören. Nein, sie hatte die Brille nicht gesehn. Christian wühlte unter einem Stapel alter Zeitungen. »Die könntest du auch mal wieder wegräumen.« Die Brille fand er in seiner Jackentasche. Josefa lachte. »Du lachst auch über jeden Scheiß«, sagte Christian, goß sich Kaffee ein und griff nach der Zeitung. Josefa sah ihm zu, wie er, geübt im Auffinden der wesentlichen Mitteilungen, die Zeitung durchblätterte, Fettgedrucktes überflog, nur kurz die Wirtschaftsseite streifte, länger verweilte bei der Außenpolitik und bei der Kultur, den Sport überschlug, zum Schluß die Todesanzeigen.
»Ich hab was Komisches geträumt«, sagte sie. Sie erzählte die Geschichte genau, mit spürbarem Genuß am blutigen Detail.
Christian sah sie betroffen an, faltete die Zeitung zusammen und legte sie neben den Sessel auf die Erde. »Woher kennst du diese Wut?« fragte er.
»Weiß nicht«, sagte Josefa. Nur langsam senkte sich Christians Frage mit ihrem ganzen Gewicht in ihr Bewußtsein.
Diese Wut. Diese. Nicht irgendeine, sondern eine bestimmte, die er kannte, von der er glaubte, sie sei sein Geheimnis. Und jetzt war er erschrocken, weil sie etwas darüber wußte. Aber sie wußte ja gar nichts, sie ahnte nur. Wenn sie sich manchmal von einer Sekunde zur anderen in seinen Armen verlor, weil er vergessen hatte, zu wem der Körper gehörte, den er gerade festhielt. Wenn sie spürte, daß er sie bekämpfte, nein, nicht sie, das eben nicht, nur ihren Körper, den er ihr heimlich gestohlen hatte und ihn bekämpfte, bis er ihn besiegt hatte, unterworfen; bis er nur noch ihm gehörte und Christian sich wieder an Josefa erinnerte. Heimlich, wie er ihn gestohlen hatte, gab er ihr ihren Körper zurück, küßte ihr Gesicht, reumütig.
»Hast du diese Wut schon auf mich gehabt?« fragte sie.
Christian nahm die Brille ab. Er nahm meistens die Brille ab, bevor er ihr etwas Unangenehmes sagte. Josefa erinnerte sich nicht, diesen Zusammenhang früher schon bemerkt zu haben. Erst seit kurzer Zeit kannte sie diese zögernde Geste, den Griff an die Schläfe, das bedächtige, Zeit dehnende Zusammenklappen der Bügel und den halbblinden Blick auf sie, unter dem sie ihre Verwandlung erlebte in die unscharfe, sich auflösende Josefa, nicht nur gesichtslos, auch körperlos. So, unerreichbar für sie, verschanzt hinter einem Nebel, gegen den nur ihre Stimme ankam, aber kein Lächeln, kein Schreck in den Augen, so konnte er sprechen.
»Anders, als du vielleicht denkst. Man hat sie wahrscheinlich immer, aber meistens schläft sie, und man nimmt sie nicht wahr. Und manchmal ist sie plötzlich da. Es ist eigentlich keine Wut auf dich, vielmehr auf mich, eine ganz grobe und gemeine Wut auf mich, und ich weiß nicht einmal, woher sie kommt. Und solange man sich gegen sie wehrt, wird man sie nicht los. Man muß sie annehmen und weitergeben. Hinterher fühl ich mich schlecht. Ich glaube, den meisten Männern geht es so, mehr oder weniger, mir sicher sogar weniger. Solche Gefühle müssen Lustmörder haben, anders natürlich, schlimmer, eben mit dem Unterschied: die einen morden, und die andern morden nicht. Aber daher muß es auch bei denen kommen.«
Christian schwieg, klappte die Bügel seiner Brille auseinander, legte sie wieder zusammen, spielte unschlüssig mit der Brille, ehe er sie wieder aufsetzte. »Sieh mich doch nicht so entsetzt an, ich bring dich ja nicht um. Bist du sicher, daß Frauen anders fühlen? Vielleicht nicht so körperlich, jedenfalls nicht gegen Männer, weil die meistens stärker sind. Aber was, meinst du, empfinden Frauen, wenn sie ihre kleinen Kinder prügeln, weil sie in eine Pfütze gefallen sind oder nur eine lästige Frage gestellt haben? Oder wenn sie ihre Männer drangsalieren, weil sie schlürfen oder schlecht riechen oder weil ihre Bärte kratzen. Ist das nicht ähnlich? Die Frauen haben ihre Männer schon immer vergiftet und nicht erschlagen.«
Josefa zog die Beine noch enger an den Körper, stützte ihr Kinn auf die Knie. Morgens war es kalt in ihrem Zimmer, und der Ofen wärmte noch nicht. Vielleicht war es so. Alle hatten diese Wut, Männer und Frauen, sie selbst auch. Die Scheidung fiel ihr
Weitere Kostenlose Bücher