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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einem Verrat gleich.
    Als sie in die Stadt hineinfuhren, brach Benedikt endlich das unangenehme Schweigen, wenn auch noch immer, ohne sie anzusehen oder mehr von ihr zu verlangen als eine bloße Information. »Wie geht es von hier aus weiter?«
    »Wir müssen nach Castellino«, antwortete sie nach kurzem Nachdenken. »Normalerweise nehme ich den Bus.«
    »Den Bus?«
    »Er fährt vom Marktplatz aus. Zweimal am Tag«, antwortete Rachel, fuhr aber selbst und mit einem angedeuteten, entschuldigenden Achselzucken fort, bevor Benedikt es sagen konnte: »Aber ich bin nicht sicher, ob er heute noch fährt.«
    »Vermutlich nicht«, murmelte Benedikt. Er unterbrach sich, um einen Blick auf ein Hinweisschild am Straßenrand zu werfen, das selbstverständlich in italienischer Sprache abgefasst war und ihm vermutlich ebenso viel sagte, als wären es koreanische Schriftzeichen, und fuhr dann etwas leiser fort: »Außerdem ist es viel zu gefährlich.«
    »Du glaubst, sie wissen, dass wir hier sind?«
    »Nachdem wir einen Fahrschein in diese Stadt gelöst haben, liegt der Verdacht nahe«, antwortete Benedikt. Die Wahl seiner Worte enthielt einen leisen Spott, aber seine Stimme war dabei so kalt und ausdruckslos, dass Rachel ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie vielleicht Grund hatte, Benedikt zu fürchten.
    Vielleicht einzig, um sich von diesem Gedanken abzulenken, drehte sie den Kopf zur Seite und ließ ihren Blick über die Straße vor ihnen schweifen. Sie war schon so oft hier gewesen, dass sie es gar nicht mehr zählen konnte, aber Norcia war ihr noch nie so unheimlich vorgekommen wie heute.
    Vielleicht lag es einfach am Licht. Die Wolkendecke war nicht aufgerissen auf der Fahrt hierher, so dass die ganze Stadt in trübem Zwielicht dalag. Obwohl es heller Nachmittag sein sollte, brannten hinter zahlreichen Fensterscheiben Lichter und auch die wenigen Autos, die ihnen entgegenkamen, hatten die Scheinwerfer eingeschaltet, was sie aber nicht vertrauter, sondern im Gegenteil eher fremdartiger aussehen ließ; bizarre Maschinen aus einer fremden, völlig unverständlichen und furchteinflößenden Welt. Der Regen hatte auch hier jeden, der nicht unbedingt aus dem Haus musste, von den Straßen gefegt, und die Kanalisation der kleinen Stadt schien hoffnungslos überfordert zu sein, denn die Rinnsteine hatten sich in schmale, reißende Wildbäche verwandelt, und auch auf vielen Straßen stand zentimeterhoch das Wasser. Schmutzige Sturzbäche ergossen sich aus den überlaufenden Regenrinnen, deren Fassungsvermögen längst erschöpft war, an den Hauswänden herab, und als sie nach einigen Minuten den Marktplatz erreichten, hatte Rachel eher das Gefühl, am Ufer eines flachen Sees mit zahlreichen Zuflüssen zu stehen, denn wo normalerweise ein reges Treiben und Kommen und Gehen herrschte, da erstreckte sich jetzt eine leere, matt spiegelnde Fläche, auf der die einzige Bewegung von den wenigen Automobilen stammte, die wie Wasserkäfer hindurchkrochen. Selbst die wenigen Menschen, die sie sahen, wirkten verändert; sie liefen geduckt und schnell und mit gesenktem Blick. Die wenigsten hatten Regenschirme aufgespannt, trotz des strömenden Regens – der Wind hätte sie ihnen ohnehin aus den Händen gerissen oder zerfetzt –, und irgendetwas an der Art, wie sie sich bewegten, war falsch.
    Angst, dachte Rachel. All diese Menschen bewegten sich schnell, aber nicht wie Menschen, die durch den Regen hasteten und einzig im Sinn hatten, möglichst trocken von einem Punkt zum anderen zu gelangen. Sie bewegten sich wie Menschen, die Angst vor dem hatten, was doch eigentlich allerhöchstens ärgerlich und ein bisschen lästig sein sollte. Und sie fragte sich, ob es tatsächlich nur die beunruhigenden Nachrichten waren, die das Radio und die Fernsehsender zweifellos immer noch ausstrahlten, oder vielleicht etwas anderes. Ob sie vielleicht spürten, dass es sich bei diesem Regen und Sturm nicht um ein normales Unwetter handelte, sondern dass eine lenkende, übel wollende Macht dahinter stand.
    Beinahe erschrocken verscheuchte sie den Gedanken. Er stand ihr nicht zu. Es war vollkommen in Ordnung, die Existenz Gottes in Zweifel zu ziehen; aber es war nicht in Ordnung, ihn als übel wollend zu bezeichnen.
    »Und jetzt?«, fragte Benedikt.
    Rachel antwortete nicht gleich, aber diesmal nicht nur, weil zwischen ihnen eine so sonderbare Stimmung herrschte und sie nicht sicher war, ob sie überhaupt antworten

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