Flut: Roman (German Edition)
diesem Moment seine Worte als ebenso leer und belanglos abgetan wie die De Villes gerade, aber es gelang ihr nicht. Sein Mitgefühl und sein Bedauern waren echt.
Er lächelte ihr noch einmal beruhigend zu und drehte sich dann zu De Ville herum. »Ist der Helikopter schon gelandet?«
»Er wird in wenigen Minuten eintreffen, Heiliger Vater«, antwortete De Ville.
»Nun gut.« Johannes Petrus II. wandte sich wieder zu Uschi und ihr um, sah sie einen Moment nachdenklich an und tat dann etwas, das Rachel in diesem Moment trotz seiner Banalität geradezu ungeheuerlich vorkam: Er zog sich einen Stuhl heran und ließ sich müde darauf nieder, als wäre er nichts als ein guter alter Bekannter, der zufällig vorbeigekommen war, um mit ihnen zu plaudern.
Rachels Gedanken, und vor allem ihre Gefühle, waren noch immer in hellem Aufruhr, aber sie hatte sich immerhin wieder weit genug in der Gewalt, um sich selbst zur Ordnung zu rufen. Was immer hier geschah oder gleich geschehen würde, es war viel zu wichtig, als dass sie ihrer kindischen Ehrfurcht gestatten durfte, Gewalt über ihr logisches Denken zu erringen. Sie war nicht hierher gebracht worden, weil sie in einer Lotterie eine Privataudienz beim Papst gewonnen hatte.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen (was er vermutlich getan hatte – Rachel war ziemlich sicher, dass sie in leuchtenden Buchstaben auf ihrer Stirn geschrieben standen), fragte Johannes Petrus: »Fühlen Sie sich in der Lage, mit mir zu reden?«
Die Frage galt ganz eindeutig ihr, aber es war Uschi, die antwortete: »Das ist nicht nötig.«
Der Papst blinzelte und diesmal war es Rachel, die seine Gedanken deutlich auf seinem Gesicht ablesen konnte. Er war verwirrt über Uschis scharfen Ton. Nicht erzürnt, weil er etwa der Meinung war, der stünde ihr als ganz normalem Menschen nicht zu, sondern einfach nur überrascht, wie es ein Mensch sein mochte, der Worte von einer solchen Schärfe und voll so mühsam zurückgehaltener Aggressivität über viele, sehr viele Jahre nicht mehr gehört hatte und im ersten Moment nicht genau wusste, was er damit anfangen sollte, und auch De Ville und die beiden dunkel gekleideten Männer auf der anderen Seite des Tisches fuhren eindeutig erschrocken zusammen. Sie sagten jedoch nichts, als Johannes Petrus rasch die linke Hand hob und eine knappe, besänftigende Geste machte.
»Wieso?«
»Ich bin es, mit der Sie reden wollen«, antwortete Uschi. »Rachel hat nichts damit zu tun. Und dieser Dummkopf da auch nicht. Lassen Sie die beiden gehen. Und alle anderen auch. Das hier geht nur Sie und mich etwas an.«
Johannes Petrus lächelte milde. »Sie wissen, dass das nicht die Wahrheit ist, mein Kind«, sagte er.
»Nennen Sie mich nicht so!«, antwortete Uschi patzig. Diesmal klang die Schärfe in ihrer Stimme jedoch nicht verletzend und sie hatte es auch nicht wirklich sein sollen – so wenig wie das, was sie vorher gesagt hatte. Uschi war vielleicht einer der selbstbewusstesten Menschen, die Rachel jemals begegnet waren, aber auch sie war nicht immun gegen mehr als zweitausend Jahre geballte Kirchenmacht, deren Verkörperung vor ihr saß.
»Ganz wie Sie wünschen, Ursula.« Johannes Petrus lächelte noch immer dieses milde, wissend verzeihende Lächeln, gegen das Uschi offenbar ebenso machtlos war wie Rachel. »Sie wissen, dass Sie eine berühmte Namensgeberin haben, die für ihre Sanftmut und Geduld bekannt ist?«
»Nein«, erwiderte Uschi. »Mein Kommunionunterricht ist schon eine Weile her. Ich habe das meiste vergessen.«
»Und an das, was Sie nicht vergessen haben, wollen Sie sich nicht mehr erinnern«, sagte Johannes Petrus. Plötzlich wirkte sein Lächeln nicht mehr warm und väterlich, sondern ganz leicht spöttisch; aber auch das auf eine gutmütige Art, an der nichts Verletzendes war. Er deutete auf De Ville. »Ich habe gehört, was Sie getan haben. Es ehrt Sie. Sie sind ein Mensch, vor dessen Mut und Opferbereitschaft ich große Achtung habe, aber ich fürchte, dass das Opfer, das Sie zu bringen bereit waren, völlig umsonst gewesen wäre.«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, behauptete Uschi. Das war eine Lüge. Rachel spürte es.
»Es ist schade, dass uns so wenig Zeit bleibt, um einander kennen zu lernen«, sagte Johannes Petrus bedauernd. »Aber Sie wissen, dass Sie nicht die sind, nach der wir gesucht haben. Wir wissen es beide.«
»Was soll das heißen?«, fragte Uschi. »Woher wollen Sie das …«
»Weil ich Sie erkenne«, unterbrach sie
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