Flut: Roman (German Edition)
stellen.«
»Wie bequem«, sagte Uschi. »Aber das war ja immer schon eure liebste Ausrede, nicht wahr? Wenn ihr irgendetwas nicht erklären konntet oder wolltet, dann war es immer Gottes Wille, an dem wir nicht zu zweifeln haben.« Das sollte bitter klingen, ganz bewusst verletzend und vorwurfsvoll, aber das Zittern in ihrer Stimme machte etwas anderes daraus. Dieses Gespräch war nicht fair, begriff Rachel. Wie konnte man mit einem Mann diskutieren, dessen bloße Existenz jedes Argument zunichte machte?
»Uschi hat Recht«, sagte sie leise. »Wenn Sie sicher sind, dass ich es bin, nach der Sie gesucht haben, dann lassen Sie sie und die anderen gehen.«
»Wir mussten Sie in Sicherheit bringen, solange Pjotr und seine Männer Sie ebenfalls verfolgten«, sagte Johannes Petrus.
Danach hatte sie zwar gar nicht gefragt, aber sie spürte, dass es ihm wichtig war, seine Vorgehensweise zu erklären. Trotz allem kam es ihr in diesem Moment absurd vor, dass sich dieser Mann bei ihr entschuldigte. Die ganze Situation war wirklich nicht fair. Noch vor wenigen Stunden war sie durchaus in der Stimmung und auch bereit und willens gewesen, sich mit Gott selbst anzulegen, wenn es sein musste, aber nun war ihr klar, dass sie nicht einmal seinem Stellvertreter auf Erden gewachsen war.
»Das ist Ihnen ja nun offensichtlich gelungen. Lassen Sie sie gehen.«
»Sie wird bei uns bleiben«, antwortete der Papst kopfschüttelnd. »An einem sicheren Ort, an dem wir für ihr Überleben garantieren können. Das ist das Mindeste, was wir ihr schuldig sind.«
»Ihr Überleben?«
»Was überleben?«, fragte Uschi.
Statt zu antworten, maß Johannes Petrus sie nur mit einem langen, traurigen Blick, stand dann auf und ging mit langsamen Schritten und mit Schultern, die wie unter einer unsichtbaren, aber kaum zu tragenden Last gebeugt schienen, um den Tisch herum, und einen Augenblick später nahm De Ville seinen Platz ein, ohne sich allerdings zu setzen.
»Das Ende der Welt«, sagte er. »Haben Sie immer noch nicht begriffen, worum es hier geht?«
Uschi lachte leise, hysterisch und unecht. »Aber das ist doch absurd! Jetzt hören Sie endlich auf mit diesen Schauergeschichten!«
»Ich wollte, es wären Schauergeschichten«, murmelte De Ville. »Aber Sie wissen es doch so gut wie ich, nicht wahr? Oder warum sonst haben Sie in dem Keller unter Ihrem Haus Vorräte für mindestens ein Jahr angelegt?«
Rachel drehte überrascht den Kopf und sah, dass Uschi wie unter einem elektrischen Schlag zusammenfuhr. Irgendwie gelang es ihr, De Villes Blick standzuhalten, aber nicht sehr gut, und sie schien plötzlich nicht mehr zu wissen, was sie mit ihren Händen anfangen sollte.
»Was soll das heißen?«, murmelte Rachel.
Uschi antwortete nicht, aber De Ville sagte: »Das hat sie Ihnen nicht erzählt, oder? In diesem Keller ist alles, was man braucht, um mindestens ein Jahr zu überleben, wenn nicht länger.«
»Ist das verboten?«, fragte Uschi feindselig.
»Nein«, antwortete De Ville kopfschüttelnd. »Natürlich nicht. Aber es ist traurig.«
»Wieso?«
»Weil es Ihnen die Augen hätte öffnen müssen«, antwortete De Ville. »Spätestens in dem Moment, in dem Sie angefangen haben, diese Vorräte anzulegen, hätte Ihnen eigentlich klar werden müssen, dass Bruder Adrianus Sie belogen hat.«
»Was für ein Quatsch!«, schnappte Uschi. »Wenn ich gewusst hätte, dass …«
»... Sie bereit sind, vor Ihrer Verantwortung zu fliehen und die Welt untergehen zu lassen, dann hätten Sie auch gewusst, dass Sie nicht die sind, von der die Prophezeiung spricht.«
»Hören Sie auf«, sagte Rachel.
»Warum?«, fragte De Ville hart. »Weil es die Wahrheit ist?« »Weil Sie sie quälen«, antwortete Rachel. »Meinen Sie nicht, sie hat genug mitgemacht?«
»Ich brauche dein Mitleid nicht«, murmelte Uschi.
Rachel ignorierte sie genauso, wie De Ville es tat. »Sie wollten uns eine Frage beantworten«, erinnerte sie ihn.
Bevor De Ville antwortete, warf er einen Blick zu Johannes Petrus hin. Der Papst stand auf der anderen Seite des Tisches und sah nicht einmal in ihre Richtung, aber er schien De Villes Blick zu spüren, denn er nickte fast unmerklich. »Was bisher geschehen ist«, begann De Ville, »ist nur der Anfang. Die Welt wird untergehen. Nicht die ganze Welt. Aber unsere Welt. Europa. Nordafrika und ein Teil von Asien. In weniger als vier Stunden, von jetzt an gerechnet, wird die alte christliche Welt aufhören zu existieren.«
»Das ist
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