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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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der Papst. Er drehte langsam den Kopf und sah Rachel an. »So wie Sie mich, nicht wahr?«
    Ihr Magen zog sich zu einem eisigen Klumpen zusammen. Sie wollte irgendetwas sagen, aber sie spürte auch, dass sie höchstens ein atemloses Krächzen zustande bringen würde, und zog es vor zu schweigen, aber sie konnte nicht verhindern, dass ihre Hände ganz leicht zu zittern begannen. Der Blick des Papstes wurde bohrend und er berührte irgendetwas in ihr, das sie fast aufschreien ließ. Der logische Teil ihres Verstandes (ja, ja, er existierte tatsächlich noch, wenn auch irgendwo so tief in ihr verschüttet, dass sie Mühe hatte, sich daran zu erinnern, dass es ihn je gegeben hatte) versuchte ihr einzureden, dass diese Worte vollkommener Unsinn waren. Dieser Mann hatte das Kind, das er in ihr wieder zu erkennen behauptete, vor dreißig Jahren gesehen, als es gerade geboren und wenige Minuten alt gewesen war. Es war vollkommen unmöglich, dass er sie wieder erkannte – oder sonst jemanden.
    Aber erkannte nicht auch sie ihn?
    Sie war nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten, weder mit einem klaren Ja noch mit einem klaren Nein. Logik hatte in diesem Universum aus uralten Prophezeiungen und noch älteren Mächten und Gewalten, in das sie hineingeschleudert worden war, nichts mehr zu bedeuten.
    »Es tut mir so unendlich Leid, dass wir uns unter diesen Umständen wieder sehen müssen, mein Kind«, sagte er. »Es ist kein Tag vergangen, an dem ich Gott nicht in meinen Gebeten angefleht hätte, diesen Kelch an mir vorübergehen zu lassen, aber ich wusste, dass es eines Tages so weit sein würde.«
    »Ich will nicht respektlos erscheinen«, sagte Uschi mit leiser, zitternder Stimme, in der mehr Angst als irgendetwas anderes mitschwang, »aber Bruder Adrianus …«
    »Bruder Adrianus war ein tapferer Mann«, unterbrach sie Johannes Petrus. »Aber leider nicht besonders wählerisch in seinen Mitteln. Es liegt nicht bei mir, über ihn zu urteilen.«
    »Das … das verstehe ich nicht«, sagte Uschi verwirrt. »Er hat mir gesagt, dass … dass ich diejenige bin …«
    Ihr Gegenüber schwieg und Rachel sagte leise: »Begreifst du immer noch nicht, dass er gelogen hat?«
    »Aber warum?«
    Rachel lachte ganz leise und sehr bitter. »Damit du es selber glaubst. Und alle anderen auch. Und damit sie dich jagen, nicht mich.« Sie sah Johannes Petrus an. »So war es doch, nicht wahr?«
    »Ich fürchte.«
    Uschi sagte fünf, sechs, schließlich zehn Sekunden lang gar nichts und ihr Gesicht verlor in dieser Zeit auch noch das allerletzte bisschen Farbe. Ihre Augen füllten sich mit etwas, das jenseits von Wut und Verzweiflung lag und das Rachel nicht zu benennen wagte. »Das … das ist nicht wahr«, flüsterte sie schließlich. »Das … das bedeutet …«
    All diese Jahre, dachte Rachel. Sie konnte vermutlich nicht einmal erahnen, was in diesem Moment in Uschi vorging, aber schon der bloße Gedanke erfüllte sie mit einer Kälte, die beinahe weh tat. Fünf Jahre, in denen sie nicht nur im freiwilligen Exil jenseits jeder Gesellschaft und aller menschlichen Zivilisation und ihrer Annehmlichkeiten und Vorzüge gelebt hatte, sondern in denen vielleicht keine Sekunde vergangen war, in der sie nicht der Gedanke an die bevorstehende Apokalypse gequält und die sie nicht in dem Bewusstsein verbracht hatte, schließlich für den Tod von Millionen und Abermillionen von Menschen, das Ende der gesamten menschlichen Zivilisation, den Untergang einer gesamten Welt verantwortlich zu sein. Adrianus mochte ein guter Taktiker sein und sein Plan hatte letzten Endes auf eine gewisse Art sogar zum Erfolg geführt – aber er hatte Uschi in diesen fünf Jahren durch die Hölle geschickt. Rachel hoffte aufrichtig, dass er bereits selbst darin schmorte.
    »Ich habe nichts davon gewusst«, sagte Johannes Petrus. »Bitte glauben Sie mir das. Hätte ich es gewusst, dann wäre ich persönlich zu Ihnen gekommen, um Ihnen die Wahrheit zu sagen.«
    »Aber warum sind Sie nicht gekommen?«, flüsterte Rachel. »Warum sind Sie nicht einfach gekommen und haben nach mir gesucht?« Obwohl ihre Stimme so leise war, dass man sie kaum verstehen konnte, war es trotzdem wie ein Schrei, und Rachel sah, wie ein neuer, noch tieferer Schmerz über das Gesicht ihres Gegenübers huschte.
    »Weil ich es nicht durfte«, antwortete er. »Alles musste so kommen, wie es geschrieben steht. Es steht uns Menschen nicht zu, Gottes Wille oder seine Entscheidungen in Frage zu

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