Flut: Roman (German Edition)
Ihnen auch nicht geben«, sagte Torben. Er schien noch mehr sagen zu wollen, noch sehr, sehr viel mehr, aber dann beließ er es bei einem bitteren Verziehen der Lippen, ging mit langsamen Schritten und gebeugten Schultern wieder um den Tisch herum und setzte sich auf den Stuhl ganz am anderen Ende.
»Vielleicht wollte ich einfach nur mit Ihnen reden«, murmelte er.
»Vielleicht wollen Sie ja meine Absolution«, sagte Darkov. Er grinste dabei und seine Stimme hatte einen boshaften, ganz bewusst verletzend gemeinten Ton, und dennoch … Rachel spürte ein eisiges Frösteln. In diesen Worten war mehr Wahrheit, als irgendjemand hier im Raum – Darkov selbst, den Papst und sie selbst ausgenommen – ahnen mochte. Johannes Petrus fuhr wie unter einem elektrischen Schlag zusammen und seine schmalen Hände schlossen sich für einen Moment mit aller Kraft um die Tischkante, als müsse er seine gesamte Energie aufbieten, um sich auf dem Stuhl aufrecht zu halten. Hätte der russische Söldnergeneral in diesem Moment eine verborgene Waffe gezogen und auf ihn geschossen, hätte ihn die Kugel kaum härter treffen können als diese Worte, und Rachel begriff auch, dass sie keineswegs zufällig gewählt waren. Vielmehr hatte Darkov sie sich sorgsam zurechtgelegt, nicht erst seit einigen Minuten, nicht erst seit wenigen Stunden, sondern vielleicht schon vor dreißig Jahren.
»Wenn Sie jemanden suchen, der dem Kerl das Maul stopft, Heiliger Vater, dann sagen Sie es mir«, warf Uschi ein.
Johannes Petrus nahm ihre Worte gar nicht zur Kenntnis, aber Darkov drehte langsam den Kopf und maß sie mit einem nachdenklichen, nicht einmal unfreundlichen Blick. »Ich habe Ihnen Ihre Geschichte zwar keine Sekunde lang geglaubt, meine Liebe«, sagte er, »aber Sie spielen Ihre Rolle gut. Vielleicht ein bisschen zu überzeugend.«
»Sie verdammter …«, begann Uschi, aber Darkov fuhr rasch und mit lauter, leicht veränderter Stimme dazwischen:
»Ich nehme an, unser Heiliger Vater hier hat Ihnen seine kleine Geschichte erzählt, nicht wahr?«
»Ja.«
»Aber er hat Ihnen nicht erzählt, warum er mich und Benedikt seit beinahe dreißig Jahren gejagt hat, nicht wahr? Warum es für ihn und seine Kirche so wichtig war, dieses Kind in seine Gewalt zu bekommen?«
Bevor Uschi antworten konnte, fragte Rachel: »Warum war das Kind für Sie so wichtig?«
Darkov drehte langsam den Kopf in ihre Richtung und maß sie erneut mit diesem sonderbaren, schwer zu beschreibenden Blick, der ihr Angst machte, aber auf eine völlig andere Art, als sie erwartet hatte. »Sie sind Benedikts Schwester«, sagte er. »Ich habe es gleich gespürt.«
»Unsinn!«, sagte Uschi, aber Darkov ignorierte sie einfach.
»Ich habe den größten Teil meines Lebens mit ihm verbracht. Ich habe mein Leben der Aufgabe gewidmet, ihn zu erziehen und auf das vorzubereiten, was vielleicht kommt. Und Sie sind ihm so ähnlich. Viel ähnlicher, als Sie glauben. Ich wollte, die Umstände wären anders. Sie und ich hätten Freunde werden können, auch wenn Sie das wahrscheinlich nicht glauben.«
»Kaum«, sagte Rachel. Aber selbst diesem einen Wort fehlte die entsprechende Überzeugung. Irgendetwas tief in ihr sagte ihr, dass Darkov möglicherweise Recht hatte.
Darkov deutete über den Tisch. »Warum fragen Sie ihn nicht?«
»Was?«, fragte Uschi. Sie wusste genauso gut wie Rachel und alle anderen, was Darkov mit seinen Worten meinte, aber sie schien mindestens ebenso große Angst vor der Antwort zu haben wie Rachel.
»Warum er buchstäblich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hat, um Sie zu finden«, antwortete Darkov, nunmehr direkt in Rachels Richtung gewandt. »Was ist so wichtig daran, dass Sie hier und in seiner Gegenwart sind? Wenn wirklich alles der Wahrheit entspricht, wenn es diesen neuen Messias tatsächlich gibt – ganz egal, ob Sie es sind oder sonst jemand –, warum muss er dann das, was immer er auch tut, in Gegenwart des Papstes tun, des Oberhauptes der katholischen Kirche? Irgendeiner Kirche? Wissen Sie, meine Liebe, ich habe mein eigenes Bild von Gott. Es weicht vielleicht von dem der meisten Menschen ab, ganz bestimmt von dem Torbens und seiner Brüder, aber auch ich glaube, dass es da irgendwo eine Macht gibt, die über uns wacht und unser Handeln lenkt.«
»Sie?«, fragte Uschi. Der ungläubige Tonfall ihrer Stimme war nicht gespielt.
Darkov nickte. »Das überrascht Sie, ich weiß. Die meisten Menschen, die ich kenne, würden es nicht glauben. Ich würde
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