Flut: Roman (German Edition)
sie nicht!« Rachel stand auf. »Habt ihr es denn immer noch nicht begriffen? Es geht nicht um mich.« »Ach?«, fragte Uschi spöttisch. »Um wen denn sonst?«
Rachel zögerte. Für einen Moment war es ihr fast unmöglich, die Frage zu beantworten. Sie hatte seit einer guten Stunde über praktisch nichts anderes nachgedacht als darüber, wie sie Benedikt und den anderen die Wahrheit erklären sollte, und sie war zu keinem Ergebnis gekommen. Wie konnte sie etwas erklären, das sie selbst nicht genau verstand?
Sie wandte sich direkt an Uschi. »Bruder Adrianus hat dich belogen«, sagte sie.
»Ich weiß«, sagte Uschi, aber Rachel schüttelte sofort den Kopf.
»Nein, das weißt du nicht«, sagte sie. »Ich bin es nicht, um die es geht.«
Uschi blinzelte und Tanja und Frank drehten gleichzeitig die Köpfe und sahen verwirrt in ihre Richtung. Benedikt wirkte plötzlich sonderbar angespannt und selbst Torben hob den Blick und erwachte für einen Moment aus seinem Dämmerzustand.
»Was soll das jetzt wieder heißen?«, fragte Uschi.
»Irgendjemand – etwas – hat mir eine Aufgabe in diesem Spiel gegeben«, sagte sie. »Aber nicht die, die ihr glaubt.«
»Na, da bin ich jetzt aber mal gespannt«, sagte Uschi. Aber es gelang ihr nicht ganz, so sarkastisch zu klingen, wie sie es gewollt hatte.
Rachel antwortete nicht. Ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Aber sie drehte sich halb herum und sah Tanja an. Lange. Wortlos. Und Tanja begann unter ihrem Blick immer nervöser zu werden. »Was … was meinst du?«, fragte sie schließlich.
»Wir kennen uns, so lange wir leben, nicht wahr?«, fragte Rachel.
Tanja nickte.
»Ich war immer in deiner Nähe«, fuhr Rachel fort. »Und du warst immer etwas Besonderes für mich.«
»So wie du für mich«, sagte Tanja nervös. Nein, nicht nervös. Sie klang eindeutig ängstlich. »Wir waren gute Freundinnen.«
Rachel schüttelte den Kopf. »Wir waren viel mehr«, sagte sie. »Du weißt, dass ich manchmal … Dinge sehe.«
Tanja nickte wieder. Die Furcht in ihren Augen nahm zu.
»Manchmal spüre ich Gefahren. Ahne Entscheidungen voraus, die besser anders getroffen werden sollten. Ich dachte immer, dass … dass diese Gabe ein Fluch wäre, aber das stimmt nicht.«
»Ich wusste es«, sagte Frank. »Ich wusste es immer. Sie ist eine verdammte Hexe.«
»Bitte sei still«, sagte Tanja, aber natürlich erreichte sie damit bei Frank das genaue Gegenteil. Er sprang auf und seine Stimme wurde lauter.
»Nein, das werde ich ganz bestimmt nicht!«, sagte er zornig. »Ich wusste es immer! Ohne diese verdammte Hexe wäre keiner von uns hier!«
»Ohne sie wäre ich nicht mehr am Leben«, sagte Tanja matt. »Schon lange nicht mehr.«
»Und Sie sollten jetzt besser still sein«, sagte Benedikt, beinahe sanft, aber dennoch auf eine Art, die Frank erbleichen ließ.
»Es war kein Fluch, es war ein Geschenk«, fuhr Rachel fort. »Aber es war kein Geschenk für mich. Es war immer nur für dich.«
»Wie bitte?«, fragte Tanja. Sie hatte längst begriffen, aber Rachel konnte ihr nur zu gut nachfühlen, dass sie nicht verstehen wollte, was sie ihr erzählte.
Aller Aufmerksamkeit hing an ihren Lippen, als sie fortfuhr: »Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll, aber ich glaube, ich wurde nur geschickt, um auf dich aufzupassen.«
»Auf mich?« Jetzt war Tanjas Stimme fast hysterisch. »Aber das ist Unsinn. Ich … ich bin absolut nichts Besonderes. An mir ist nichts Außergewöhnliches. Wie sollte ich …«
»Vielleicht nicht an dir«, sagte Rachel. Sie schüttelte müde den Kopf. »Ich weiß es nicht. Vielleicht bist auch du nur ein Werkzeug. Vielleicht ist ja der einzige Grund, aus dem ich auf dich aufgepasst habe, dass du irgendwann noch da bist, um etwas Bestimmtes zu tun. Vielleicht jemand anderen beschützen.«
»Das wird mir jetzt langsam zu albern«, sagte Frank. »Gleich werdet ihr mir erzählen, dass wir beide wie Adam und Eva die Stammväter einer neuen Generation werden sollen, wie?«
»Großer Gott, nein«, murmelte Uschi. »Dann wäre es wahrscheinlich besser gewesen, die Dinosaurier wären nicht ausgestorben.« Sie sah zu Rachel hoch. »Eine interessante Theorie«, sagte sie. »Und was genau schlägst du vor? Dass wir diesen Dummkopf da mit seiner Frau, die jeden Moment ein Kind bekommen kann, schon mal losschicken und hier vielleicht noch eine Runde Scrabble spielen, bevor die Welt untergeht?«
»Bitte, Uschi«, sagte Rachel müde. »Ich weiß es
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