Flut: Roman (German Edition)
kommen mit. Basta.«
»Gott hat sich nicht von Ihnen abgewandt«, sagte Rachel leise. »So grausam ist er nicht.«
»Aber es ist alles –«
»Vielleicht sagt die Prophezeiung ja tatsächlich die Wahrheit«, fiel ihm Rachel ins Wort. »Vielleicht ist das Ende der Kirche, wie wir sie kennen, wirklich gekommen. Aber das Ende der katholischen Kirche bedeutet nicht das Ende des Glaubens. Wir werden auch in Zukunft Menschen wie Sie brauchen. Wahrscheinlich mehr denn je.«
Ihr war klar, dass ihre Worte wenig Wirkung hatten. Torben war längst kein junger Mann mehr und das Leben, das er geführt hatte, hatte sein Denken in Bahnen gelenkt, die sie weder durchbrechen noch wirklich nachvollziehen konnte. Aber er war kein Dummkopf. Alles, was sie ihm sagen konnte, hatte er sich längst selbst gesagt und vermutlich noch viel, viel mehr. Aber das würde ihm keinen Trost spenden. Das Ende einer Kirche war eine Katastrophe, ganz egal von welchem Standpunkt aus man es betrachtete, aber sie glaubte nicht, dass sie die persönliche Katastrophe, die Torben getroffen hatte, auch nur erahnen konnte. Uschi versuchte ihm mit der Hölle zu drohen? Er lebte bereits in der Hölle, und das seit annähernd dreißig Jahren!
»Er kommt mit, und aus«, sagte Uschi. »Ich habe keine Lust am Ende doch noch draufzugehen, weil irgendein Schlaumeier von der Palastwache glaubt, ich hätte diesen Ring gestohlen!«
»Wer hat dich eigentlich zur Anführerin gemacht?«, fragte Frank gehässig.
Uschi schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln. »Das hier«, sagte sie und hob das Gewehr. »Und falls du –«
Draußen im Hausflur polterte etwas. Sowohl Rachel als auch Uschi fuhren erschrocken herum und Uschi richtete das Gewehr auf die Tür.
»Ich bin es!«, drang Benedikts Stimme aus dem dunklen Flur. »Tut nichts, was ihr vielleicht bereuen würdet.«
»Benedikt?« Rachel sah verwirrt auf die Uhr, was im Grunde völlig unlogisch war, denn sie hatte nicht darauf gesehen, als Benedikt gegangen war. Dennoch: Er konnte kaum länger als zwei oder drei Minuten fort gewesen sein.
»Das ging schnell. Hast du den Wagen gefunden?«
»Nein«, antwortete Benedikt, während er hereinkam. »So weit bin ich nicht gekommen.«
Er lächelte Rachel müde an und schlenderte dabei ziellos an ihr vorbei, aber hinter Rachels Stirn begannen plötzlich sämtliche Alarmsirenen zu schrillen. Sie kannte Benedikt mittlerweile gut genug, um zu erkennen, dass er alles andere als gelassen war, sondern ganz im Gegenteil aufs Äußerste gespannt.
»Aber ich habe etwas anderes gefunden.«
»Was?«, fragte Uschi misstrauisch. Ihre Augen wurden schmal und sie hob das Gewehr und schwenkte den Lauf in einer wie zufällig wirkenden Bewegung herum, aber natürlich entging sie Benedikt nicht und ebenso natürlich war sie nicht schnell genug. Er machte einen weiteren Schritt auf sie zu und gleichzeitig zur Seite, streckte ohne Hast, aber trotzdem sehr schnell die Hand aus und entriss ihr das Gewehr, und praktisch im gleichen Moment trat De Ville durch die Tür und sagte:
»Mich.«
Rachel riss ungläubig und erschrocken die Augen auf. Nicht nur, weil er so plötzlich hier aufgetaucht war. De Ville bot einen grauenerregenden Anblick. Seine Kleidung, seine Hände und vor allem das Gesicht waren über und über mit erst halb eingetrocknetem Blut besudelt. Er zog das linke Bein nach und auch sein linker Arm hing nutzlos herab, so schlaff, dass sie nicht daran zweifelte, dass er ihn nicht mehr gebrauchen konnte. Blut lief an seiner Hand herab und tropfte zu Boden, wie um die Spur zu markieren, die er hier herein genommen hatte, und das einzig Lebendige in der glitzernden roten Maske, die einmal sein Gesicht gewesen war, schienen die Augen zu sein. Ihr Blick war starr auf Uschi gerichtet und von etwas erfüllt, das Rachel einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen ließ.
»Verzeihung«, sagte Benedikt ruhig, während er das Gewehr demonstrativ am ausgestreckten Arm weghielt. »Ich wollte nur sicher sein, dass Sie nicht irgendetwas Unvernünftiges tun.«
»Um Gottes willen, was ist Ihnen passiert?«, murmelte Rachel. De Villes Anblick war so furchtbar, dass er ein leises Ekelgefühl in ihr wachrief – obwohl er im Grunde keinerlei sichtbare Verletzungen hatte, von den zahllosen Schrammen und Kratzern abgesehen, mit denen sie mittlerweile alle aufwarten konnten. Das Blut, das von seiner Hand tropfte, stammte vermutlich von der Schulterwunde, die wieder aufgebrochen war. Aber er war so
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