Flut: Roman (German Edition)
dass sie ebenfalls entführt wurde.«
»Welche andere?«, fragte Rachel. Naubach tat so, als hätte er die Frage nicht gehört, und sog an seiner Zigarre.
»Und selbstverständlich möchten Sie jetzt wissen, von wem und warum, und suchen nach einem Zusammenhang.« Rachel hob bedauernd die Schultern. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen dabei helfen kann.«
»Das kommt auf einen Versuch an.« Naubach hob ebenfalls die Schultern und grub einen zusammengefalteten Zettel aus der Jackentasche; derselben, in die er gerade das abgebissene Zigarrenende gesteckt hatte. »Fangen wir mit dieser Namensliste an: Sagt Ihnen irgendeiner dieser Namen etwas?«
Rachel nahm das Blatt mit spitzen Fingern entgegen, faltete es auseinander und fuhr heftig zusammen, kaum dass sie einen Blick darauf geworfen hatte. Sie kannte jedes einzelne Gesicht, das zu den fünf Namen gehörte. Besser, als ihr in diesem Moment lieb war.
»Sie kennen sie«, sagte Naubach. Er wirkte nicht überrascht. Es war auch keine Frage, sondern eine Feststellung. Vielleicht sogar eine, in der sich ein leiser Vorwurf verbarg.
»Natürlich kenne ich sie«, sagte Rachel verstört. »Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Wenigstens ein paar Jahre.« Ob sie sie kannte? Rachel war zutiefst erschüttert. Bettina, Tanja und Monika … Tanja und sie waren während der gesamten Schulzeit die dicksten Freundinnen gewesen, und es hatte keinen Tag gegeben, an dem sie nicht beieinander gehockt hatten. Danach hatten sich ihre Wege ein wenig getrennt; die Ausbildung, die ersten wirklich ernst zu nehmenden Freunde. Tanja hatte bald darauf eine eigene Familie. Aber sie waren trotzdem Freundinnen geblieben und es verging kaum eine Woche, in der sie nicht mindestens miteinander telefonierten oder sich auf einen Kaffee trafen. Es wäre sogar deutlich öfter gewesen, wäre Tanjas Mann nicht ein Riesenarsch, den Rachel so wenig ausstehen konnte wie er sie. Sie hatte nie begriffen, was Tanja an diesem Dummkopf fand.
Sie starrte Naubach an. »Großer Gott! Tanja entführt? Von diesen – diesen Monstern?«
»Darüber hinaus gibt es noch ein paar Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen. Um nur die wichtigsten zu nennen: Sie alle sind im gleichen Monat geboren und Sie alle sind Kinder strenggläubiger Katholiken. O ja und natürlich: Sie alle sind Frauen.«
Rachel fuhr erschrocken herum und hoch. Naubachs Eröffnung hatte sie so schockiert, dass sie nicht einmal bemerkt hatte, wie die Tür aufgegangen war und ein weiterer Mann das Zimmer betrat. Er war so groß, dass er sich unter dem Türsturz bücken musste, um nicht mit dem Kopf anzustoßen, und im ersten Moment erschrak sie so sehr, dass sie um ein Haar aufgesprungen wäre. Sie war fest davon überzeugt, einem ihrer Verfolger vom Morgen gegenüberzustehen. Der Mann hatte pechschwarzes, mittellang geschnittenes Haar (so ziemlich die einzige Haartracht, die im Moment eindeutig nicht in Mode war) und ein breites, nicht unsympathisches Gesicht mit eng beieinander stehenden dunklen Augen und einem markanten Kinn. Leicht buschige Brauen und ein sichtlich starker Bartwuchs vervollständigten den exotischen Eindruck, an dem nichts wirklich bedrohlich war, sondern der ihn eher interessant machte, sie aber zu stark an das Gesicht vom Morgen erinnerte. Er trug die Art Kleidungsstück, die in den letzten drei Wochen zu einer Art kastenübergreifender Nationaltracht geworden war: einen schwarzen Regenmantel, der vor Nässe troff. Seine Hände waren nicht ganz so groß wie Schaufeln, aber auch nicht viel kleiner. Er humpelte leicht.
»De Ville!« Naubach stand auf und streckte dem Neuankömmling die Hand entgegen, aber der ignorierte sie genau so geflissentlich wie den Kommissar in seiner Gesamtheit und fuhr an Rachel gewandt fort: »Ich bin fast sicher, dass es noch mehr Gemeinsamkeiten gibt. Und ich bin ebenso sicher, dass uns genau diese Gemeinsamkeiten helfen werden, die Spur der Verbrecher aufzunehmen und sie dingfest zu machen, wenn wir sie nur erst einmal erkannt haben. Das ist auch der Grund, weshalb ich Herrn Naubach gebeten habe, Sie so lange festzuhalten, bis ich mit Ihnen sprechen kann. Wie es aussieht, sind Sie im Moment unsere einzige Zeugin.«
Kein Wort der Entschuldigung, des Bedauerns. Er machte sich nicht einmal die Mühe, sich vorzustellen. Wäre Rachel nicht noch immer zutiefst bestürzt gewesen von dem, was Naubach ihr gerade über Tanja und die anderen eröffnet hatte, so hätte sie vermutlich sehr viel harscher reagiert. So fragte
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