Flut: Roman (German Edition)
weiß auch noch nicht, wie ich es ihnen beibringen soll. Es wird ihnen das Herz brechen.«
Das Angebot, die Rolle der Unglücksbotin zu übernehmen, lag Rachel auf der Zunge, aber sie sprach es nicht aus. Es war nicht der richtige Moment. Sie würde es tun, und sie war ziemlich sicher, dass Tanja dieses Angebot auch annehmen würde, aber nicht jetzt. »Und er?«
»Frank hat erst recht keine Ahnung«, sagte Tanja. Sie rauchte nervös. »Ich wollte es ihm sagen, aber … später. Vielleicht heute Abend, nachdem ich mit dir gesprochen habe.«
»Mit mir?« Rachel fühlte sich beinahe geehrt, aber zugleich auch betroffen. Sie hatte die volle Tragweite dessen, was Tanja ihr gerade eröffnet hatte, noch längst nicht begriffen, so wenig wie Tanja selbst, und sie fühlte sich schon jetzt hilflos. Was glaubte Tanja, was sie für sie tun könnte? Natürlich würde sie ihr helfen, wo immer es ging und wie immer sie konnte – das Problem war nur, dass es so verdammt wenig gab, was sie für sie tun konnte, eigentlich nichts. »Willst du das Kind?«, fragte sie. Das war ganz bestimmt nicht die Art von Hilfe, die Tanja erwartet hatte, und im Grunde rechnete Rachel nicht einmal ernsthaft mit einer Antwort. Tanja mochte in den vergangenen Jahren kräftig über die Stränge geschlagen haben, wohl um sich von ihren Eltern freizuschwimmen, aber Abtreibung kam für sie sicherlich nicht in Frage; dieses Wort existierte in ihrem Vokabular nicht einmal. Sie hatten nie über dieses Thema gesprochen, aber Rachel kannte ihre Freundin gut genug, um die Antwort zu wissen.
»Ich weiß nicht, was Frank dazu sagt«, antwortete Tanja.
»Frank?«, machte Rachel überrascht.
»Ich weiß, was du sagen willst«, sagte Tanja. »Du hältst nichts von ihm. In mancher Hinsicht hast du vielleicht sogar Recht, aber du kennst ihn auch nicht so gut wie ich. Du wärst erstaunt: Er ist ganz vernarrt in Kinder. Ich bin eigentlich sicher, dass er es haben will.«
Und warum auch nicht?, dachte Tanja. Ein Kind käme Frank wahrscheinlich gerade recht. Sicher, es würde ein großes Geschrei und Zähneklappern geben, aber in einer so strenggläubigen Familie wie der Tanjas war die Hochzeit eigentlich die einzig vorstellbare Folge eines solchen Fehltritts. Und Tanjas Eltern waren nicht nur strenggläubige Katholiken, sondern auch nicht ganz unvermögend. Nicht reich, beileibe nicht, aber sie besaßen ein schuldenfreies Haus, ein bescheidenes Vermögen und hatten nur dieses eine Kind, genau das, was einem Kerl wie Frank gelegen kommen musste, um sich ins gemachte Nest zu setzen.
»Es tut mir so Leid«, murmelte sie hilflos.
Tanja sagte nichts mehr, sondern fuhr sich nur mit dem Handrücken über die Augen und versuchte die Tränen wegzublinzeln, und Rachel legte ihr sanft den Arm um die Schultern und drückte sie an sich. Tanjas Tränen waren bereits wieder versiegt, aber Rachel spürte ihren Schmerz mit fast körperlicher Intensität, und sie wünschte sich nichts mehr, als ihr diesen Schmerz irgendwie abnehmen zu können oder ihn wenigstens zu teilen.
»Na, ihr beiden Turteltäubchen – störe ich?«
Rachel sah hoch und erblickte Frank, der mit einem anzüglichen breiten Grinsen und in die Hüften gestemmten Fäusten vor ihnen stand. Er triefte vor Nässe und hatte ein Handtuch über die Schulter geworfen – nicht, um es zu benutzen, sondern nur, weil es cool aussah, wie Rachel annahm – und er atmete nicht einmal schwer, obwohl er den See in einer der anstrengendsten Arten überhaupt durchschwommen hatte.
»Was ist los«, sagte er, »kann man da vielleicht noch mitmachen?«
Rachel hätte ihm den Schädel einschlagen können. Sie funkelte zornig zu ihm hoch, was Frank nicht besonders zu beeindrucken schien, denn er grinste noch breiter, aber nur für eine Sekunde, dann trat eine steile Falte zwischen seine Augenbrauen.
»He, was soll denn das, Kleines?«, fragte er Tanja. »Du hast mir doch versprochen, das Rauchen aufzugeben.«
»Verdammt noch mal, halt endlich die Klappe!«, zischte Rachel. »Und tu uns beiden und vor allem dir selbst einen Gefallen und verschwinde hier. Du störst.«
Franks Augen wurden schmal. Das Grinsen verschwand wie weggewischt aus seinem Gesicht. »Falls es dir nicht aufgefallen ist, Süße, ich rede mit meinem Mädchen.«
»Und falls es dir nicht aufgefallen ist, Süßer«, antwortete Rachel in der gleichen Tonlage, »ich versuche meine Freundin zu trösten, die –«
»Hört auf! Beide!« Tanja sprang so hastig auf,
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