Flut: Roman (German Edition)
Frank war sich dieser Blicke zweifellos bewusst und er genoss jede Sekunde ebenso zweifellos in vollen Zügen. Sehr langsam näherte er sich dem Ende des Auslegers und blieb mindestens eine halbe Minute lang mit geschlossenen Augen stehen, als müsse er sich auf einen Sprung von einer Fünfzig-Meter-Klippe konzentrieren, bevor er sich abstieß. Er vollführte einen nicht ganz perfekten, aber recht ansehnlichen anderthalbfachen Salto, ehe er mit einem gewaltigen Platschen im Wasser verschwand. Ein paar der Teenies, die ihn beobachtet hatten, applaudierten und irgendjemand stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
»Was für ein Kindskopf! Irgendwann bricht er sich noch den Hals oder etwas noch Wertvolleres.«
Rachel hob den Kopf und blinzelte gegen die schon tief stehende Sonne zu der schlanken Silhouette hoch, die neben ihr stand. Tanja trug einen schwarzen Bikini, der im Grunde mehr zeigte, als er verbarg, und hatte das Haar zu einem strengen Knoten zusammengebunden, der sie sonderbarerweise jünger aussehen ließ, als sie war, nicht etwa älter. »Na, das wollen wir doch nicht hoffen«, sagte Rachel. Sie setzte sich weiter auf, umklammerte die Knie mit den Armen und machte eine Kopfbewegung auf den freien Platz neben sich. Tanja zögerte gerade lange genug, um ihr Anlass zu geben, über den möglichen Grund dieses Zögerns nachzudenken, aber dann setzte sie sich. Rachel hatte ohnehin eine ziemlich konkrete Vermutung. Der Grund für ihr Zögern befand sich auf der anderen Seite des Sees und war hoffentlich mit dem Kopf im Schlamm am Boden des Gewässers stecken geblieben. Frank schätzte es nicht, wenn sie zu viel Zeit miteinander verbrachten, und er machte keinen Hehl aus seiner Abneigung ihr gegenüber.
»Du bist nicht fair«, sagte Tanja und zog einen übertriebenen Schmollmund. »Ich weiß gar nicht, was du gegen Frank hast.«
»Nichts«, sagte Rachel. »Das ist ja gerade das Schlimme. Hätte ich was, dann hätte ich es ganz bestimmt schon längst eingesetzt, verlass dich drauf.«
»Jetzt übertreib es aber mal nicht.« Tanja grinste, aber in ihrer Stimme – und vor allem in ihren Augen – war auch eine ganz schwache Spur von … etwas anderem, etwas, das Rachel sagte, dass sie besser nicht in diese Richtung stichelte. Sie nahm die Arme herunter, setzte sich weiter auf und kramte einen Moment lang in ihrer Handtasche herum. Bevor sie weitersprach, zündete sie sich eine Zigarette an und hielt auch Tanja die Packung hin.
Ganz automatisch hob Tanja die Hand und zog sie dann wieder zurück, ohne sich bedient zu haben. »Nein, danke. Ich gewöhne es mir gerade ab.«
»Seit heute?«
»Seit Freitag Nachmittag, um genau zu sein.«
»Na, dann herzlichen Glückwunsch.« Rachel nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette und blies den Rauch genießerisch und provozierend in Tanjas Richtung, was diese allerdings mit stoischer Gelassenheit hinnahm. Sie wussten beide, dass ihr heldenhafter Entschluss, das Rauchen aufzugeben, allerhöchstens drei Tage vorhalten würde. »Jetzt noch mal ernst.« Rachel deutete auf den See hinaus. Frank war mittlerweile wieder aufgetaucht und schwamm im Schmetterlingsstil auf das Ufer zu; lautstark, sehr kräftezehrend und alles andere als schnell, aber mächtig beeindruckend. »Sieh dir diesen Pfau doch an. Wie lange geht das jetzt schon mit euch? Ein halbes Jahr?«
»Acht Monate.«
»Sieben zu viel, wenn du mich fragst. Was willst du mit dem?«
»Vielleicht ist er ja gut im Bett«, sagte Tanja schnippisch.
Rachel zog eine Grimasse. »Sei nicht so ordinär.«
»Bin ich nicht«, behauptete Tanja. »Du bist prüde. Und falls es dich interessiert: Er ist gut.«
»Falls es dich interessiert: Das interessiert mich nicht«, antwortete Rachel im gleichen Ton. Verdammt, was taten sie hier eigentlich? Sie waren drauf und dran, sich zu streiten. Doch nicht etwa wegen dieses Dummkopfs, der da im Wasser planschte.
Rachel zwang sich mit aller Macht, einen Gang zurückzuschalten, und nahm einen sehr tiefen und sehr langen Zug aus ihrer Zigarette, ehe sie fortfuhr: »Selbst wenn es so ist, jetzt erzähl mir bloß nicht, dass er so viel besser ist als alle anderen, die du vor ihm gehabt hast.«
»Hey«, protestierte Tanja. »So viele waren es auch wieder nicht.«
»Das wollte ich damit auch nicht sagen«, antwortete Rachel im Tonfall einer Entschuldigung. »Ich verstehe nur nicht, was du an diesem Kerl findest, wirklich. Gut, er sieht ja halbwegs anständig aus und er hat vielleicht auch ein
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