Flut: Roman (German Edition)
zweier hohler Hände als ein Pistolenschuss, der im Rauschen der Turbinen beinahe unterging, aber im schmutzig-grünen Lederbezug des Sitzes entstand ein winziges, an den Rändern schwarz versengtes Loch und der Pilot warf sich mit einer entsetzten Bewegung zur Seite, während vor ihm ein etwas größeres, von einem Spinnennetz milchiger Risse eingerahmtes Loch im Glas der Kanzel erschien. Noch bevor er die Bewegung zu Ende gebracht hatte, wirbelte der Angreifer in einem komplizierten, fast tänzerisch anmutenden Schritt herum, sodass die Waffe in seinen Händen nun auf Rachel deutete, und sein linker Fuß stieß nach hinten und traf De Ville so wuchtig, dass der im Sitz zurückgeschleudert wurde und ihm die Luft wegblieb. Seit er in den Helikopter gesprungen war, war nicht einmal eine ganze Sekunde verstrichen.
»Niemand rührt sich«, sagte der angebliche Polizist ruhig. »Es ist nicht notwendig, dass jemand stirbt.«
Rachel starrte wie betäubt zu dem jungen Mann in der schwarzen Lederjacke hoch. Sie hatte nicht einmal wirklich Angst. Alles war so … so unglaublich schnell gegangen, dass sie noch gar nicht begriffen hatte, was geschehen war. Und selbst wenn, wäre sie unfähig gewesen, in irgendeiner Form darauf zu reagieren. Die Zeit schien um sie herum zu unsichtbarem Glas erstarrt zu sein, in dem sie gefangen war – hilflos und eingesperrt wie ein Insekt in wasserklarem Bernstein.
»Tun Sie, was er sagt«, stöhnte De Ville. Seine Stimme klang gepresst und kurzatmig. Er hatte Mühe, überhaupt zu sprechen, und versuchte zweimal vergeblich, sich im Sitz aufzurichten, ehe es ihm wenigstens halbwegs gelang.
»Ich wusste, dass Sie ein vernünftiger Mann sind«, sagte der Angreifer. Er wedelte knapp und unwillig mit seiner Waffe. »Und Sie?«
Die Frage galt dem Piloten, der nach einem kurzen Blick auf das ausgefranste Loch in der Rückenlehne seines Sitzes mit einem abgehackten Nicken reagierte. Ihm musste so klar wie auch Rachel sein, dass die Kugel ihn nicht durch Zufall verfehlt hatte. Er hatte sich gut genug in der Gewalt, sogar seine Angst zu überspielen, aber nicht gut genug, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen.
»Sehr gut.« Ein weiteres, herrisches Wedeln mit der Waffe, diesmal wieder in Rachels Richtung. »Schließen Sie die Tür.«
Rachel erhob sich mit einer Ruhe, die sie selbst nicht völlig verstand, und kam der Aufforderung nach. Es kostete sie einige Mühe, die schwergängige Metalltür zuzuschieben, und noch mehr, der Versuchung zu widerstehen, der so offenkundigen Einladung nachzukommen und einen Fluchtversuch zu wagen. Ihre Chancen standen vermutlich nicht einmal schlecht – ein entschlossener Satz aus der Tür und eine rasche Bewegung nach rechts oder links, um aus dem stark eingeengten Schussfeld des Angreifers zu entkommen … Sie war beinahe sicher, dass sie es schaffen könnte, aber sie war auch ebenso davon überzeugt, dass sie damit das Todesurteil über De Ville und den Piloten aussprechen würde. Statt etwas Unüberlegtes zu tun, schloss sie die Tür und kehrte zu ihrem Platz zurück. Als sie De Villes Blick begegnete, sah sie deutlich Erleichterung darin. Seine Überlegungen mussten den ihren ziemlich ähnlich gewesen sein.
»Und jetzt?«, fragte De Ville.
»Jetzt holen wir Benedikt«, antwortete der falsche Polizist. »Ich hoffe für Sie, dass Ihre Leute ihm nichts getan haben.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich«, antwortete De Ville ruhig. »Sie wissen ganz genau, dass ich ihn Ihnen nicht ausliefern kann. Nicht einmal, wenn ich es wollte, und ich glaube nicht, dass ich es will.«
»Das sollten Sie aber lieber.« Die Pistole schwenkte wieder in Richtung des Piloten. »Wenn nicht, habe ich keine Verwendung mehr für Ihren Piloten, fürchte ich.«
De Villes Gesicht verdüsterte sich. »Sie haben zu viele schlechte Kriminalfilme gesehen, junger Mann«, sagte er. »So funktioniert das nicht. Außerdem glaube ich nicht, dass Sie schießen werden.«
»Bitte, De Ville.« Rachels Stimme klang fast flehend. »Er bringt ihn um!«
»Sicher«, antwortete De Ville, »aber das tut er doch sowieso. Habe ich Recht?«
»Sie wollen doch nur mich.« Rachel war sich nicht ganz sicher, wem die Worte galten; aber das spielte in diesem Moment auch wahrlich keine Rolle. Mit mühsam erzwungener Ruhe drehte sie sich ganz zu dem angeblichen Polizisten um und sah ihm so fest in die Augen, wie sie nur konnte. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte sie. »Sie haben mein Wort,
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