Flut: Roman (German Edition)
verschlingen, und auch der Himmel stürzte nicht auf sie herab. Nicht einmal der klitzekleinste Attentäter tauchte zwischen den Bäumen auf, um auf sie zu schießen.
Rachel atmete vorsichtig auf. Das ungute Gefühl war noch immer da, und wäre sie in der Verfassung gewesen, objektiv über ihren eigenen Gemütszustand zu urteilen (was sie eindeutig nicht war), dann wäre sie wohl zu dem Schluss gekommen, dass es sogar noch stärker geworden war, aber die Realität sprach nun einmal dagegen.
»Nehmen Sie es nicht persönlich«, sagte De Ville. »Es funktioniert eben nicht immer.«
Rachel drehte sich zu ihm herum. De Ville lächelte, aber sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in diesem Lächeln ein gehöriger Anteil von Erleichterung war.
»Was funktioniert nicht immer?«, fragte sie.
»Präkognition«, antwortete De Ville.
Rachel legte den Kopf auf die Seite und sah ihn fragend an, und in De Villes Blick erschien nun ganz eindeutig (immer noch gutmütiger) Spott.
»Jetzt sparen Sie sich die Mühe, ›Ich verstehe überhaupt nicht, wovon Sie reden‹ zu sagen oder irgendetwas in der Art. Ich weiß über Ihre Begabung Bescheid.«
Eine halbe Sekunde lang war Rachel nahe daran, trotzdem ganz genau das zu sagen, sogar wortwörtlich, aber dann deutete sie stattdessen nur ein Achselzucken an und ließ sich auf die gegenüberliegende Sitzbank sinken. Sie war so hart und unbequem, wie sie aussah. Das brüchig gewordene Kunstleder knarrte unter ihrem Gewicht. »Präkognition?«
»Hellsehen, wenn Sie so wollen. Auch wenn es das nicht wirklich trifft.«
»Seit wann glauben knochentrockene Kriminalbeamte an diesen esoterischen Humbug?«, erkundigte sich Rachel.
»Knochentrocken?« De Ville runzelte in gespielter Verletztheit die Stirn. »Ich habe niemals behauptet, Kriminalbeamter zu sein«, sagte er dann. »Und so abwegig ist dieser esoterische Humbug auch gar nicht, glauben Sie mir.«
Rachel blinzelte. »Sie sind nicht zufällig mit Darkov verwandt?«, wollte sie wissen. »Oder Mitglied derselben Loge?«
»Viele Menschen besitzen diese Fähigkeiten, Frau Weiss«, antwortete De Ville ungerührt. »Die meisten sind sich dieser Tatsache nur nicht bewusst – oder wollen es einfach nicht wahrhaben, weil es nicht in unser modernes Weltbild passt.« Er seufzte. »Aber lassen wir das jetzt. Worauf warten wir? Auf die Starterlaubnis vom Tower?« Die beiden letzten Sätze, die er in lautem Tonfall hervorgebracht hatte, galten dem Piloten.
Der Mann reagierte nicht so, wie De Ville es offenbar erwartet hatte, indem er nämlich startete, drehte sich aber umständlich auf dem Sitz herum und gestikulierte nach draußen. Sowohl Rachel als auch De Ville wandten die Köpfe und blickten in dieselbe Richtung, und aus Rachels ungutem Gefühl wurde schlagartig die Gewissheit, dass ihre Ahnung sie auch diesmal nicht getrogen hatte, sie hatte sie nur falsch gedeutet.
Der junge Polizist, der sie hierher chauffiert hatte, war aus dem Wagen gestiegen und kam mit ausgreifenden Schritten und stark nach vorne gebeugt auf sie zu. In der linken Hand hielt er ein Handy, mit dem er aufgeregt herumfuchtelte, die andere hatte er sonderbarerweise auf die Pistolentasche an seiner Hüfte gelegt, als habe er Angst, der Luftzug der Rotorblätter könnte die Waffe packen und davonwirbeln. Er hatte die Mütze aufgesetzt und zum Schutz vor dem Regen weit ins Gesicht gezogen, so dass Rachel den Ausdruck darauf nicht erkennen konnte, aber sämtliche Alarmanlagen hinter ihrer Stirn schrillten mittlerweile nicht nur, sondern versuchten sich aus ihren Fassungen zu reißen, und ihr Herz schlug so wild wie ein außer Kontrolle geratenes Hammerwerk.
»Was zum Teufel ist jetzt wieder los?«, murrte De Ville. Er beugte sich vor und schrie in den Regen hinaus: »Was ist passiert?«
Entweder verschluckten das Rotorgeräusch und der Regen seine Stimme, oder der andere hatte keine Lust zu schreien, solange er noch drei oder vier Schritte von der offenen Tür des Helikopters entfernt war. Er legte einen kurzen Endspurt ein, sprang mit einem federnden Satz und eingezogenem Kopf zu ihnen herein und warf De Ville das Handy zu. Während De Ville ganz automatisch mit beiden Händen danach schnappte, drehte sich der Uniformierte in der gleichen Bewegung herum, zog die Pistole aus dem Holster und gab einen einzelnen Schuss auf die Rückenlehne des Pilotensitzes ab. Der Schuss war kaum zu hören; ein dumpfer, sonderbar flacher Knall, eher wie das Zusammenschlagen
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