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Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Titel: Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Leo
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mit der gleichen Intensität – wohl weil sie ihr Verhältnis und zugleich ein von allen geteiltes Kindheitsgefühl so treffend zum Ausdruck bringt. Aber auch die klingt bei Einsi anders. Er muss gar keine besonderen Erzählkniffe bemühen, es reicht, dass er das Geschehen gerade selbst wieder zu sehen scheint und sich an ihm begeistert, statt nur eine Reihe vertrauter Sätze aus dem Gedächtnis abzurufen.
    »Du kennst die Geschichte, oder?«
    Natürlich kannte ich die. Mein Vater erzählte sie bei jeder Gelegenheit. Und nicht nur er, auch seine Geschwister, selbst die Schwestern. Und alle liebten sie.
    »Ich höre sie immer wieder gern – bitte.«
    »Na gut. Also, pass auf.« – er spült mit einen großen Schluck den Kuchenbrei runter und zündet sich eine Zigarette an – »Vierli und ich, wir müssen den Bauern Gütersloh so gehasst haben, dass wir eines Tages beschlossen, den Schuppen auf seiner Weide auseinanderzunehmen. Völlig bescheuerte Idee. Warum? Keine Ahnung, dooh. War halt der Feind. Und uns war jeder Scheiß recht. Jedenfalls, wir rüber, dooh – und los. Mit roher Gewalt, Brett für Brett. Und ab in den Brunnen damit. Der stand zum Glück gleich daneben. Ordnung muss sein. Doooh, und dann plötzlich … die Güterslohleute! Und nicht nur zwei. Mit Hunden. Wenn die uns kriegen, sag ich zu Vierli, dann bringen die uns um, so viel ist klar. Wir also ab durch die Mitte, ich immer hinter demZwerg, wenn schon, dann sollten sie mich erwischen, ich war Prügel gewöhnt. Und wer kommt uns da in aller Seelenruhe über die blühende Wiese entgegenspaziert? Ach was, spaziert – geschwebt: Dein Vater, dooh! Voll des Heiligen Geistes, weil er gerade die Zehn Gebote auswendig gelernt hat. Zweili, erzähl kein Scheiß, sag ich, sieh zu, dass du mitkommst, sonst machen die Hackfleisch aus dir. Da hättste ihn mal sehen sollen, den kleinen Pastor! Wie von der Tarantel gestochen, die Knie immer schön am Kinn. Nicht grad elegant, aber lange vor uns im Haus. Na ja, wir habens dann auch noch geschafft. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, dass wir drei je wieder so zusammen gelacht haben. Dooh, das war’n Ding. Ach ja. – Ach ja.«
    Ich erinnere mich, dass ich in das aufziehende Schweigen hinein meine Sachen packte. Ich wollte zurück nach München. Mir war nach Joggen zumute. Doch am Bahnhof überredete mich M41, einen Zug später zu nehmen. Oder auch zwei. Wir gingen in die gegenüberliegende Wirtschaft und tranken Bier. Da fiel mir ein, dass ich ihm Isabel Heinemanns Buch über das Rasse- und Siedlungshauptamt noch gar nicht gezeigt hatte. Es war kurz zuvor erschienen, und ich dachte, es würde ihn vielleicht interessieren. Ich schlug das kommentierte Personenverzeichnis auf. Durch einen alphabetischen Zufall findet sich dort nach LEO, FRIEDRICH der Name MENGELE, Dr. FRIEDRICH. (Natürlich müsste es Josef heißen. Weil der kleine Irrtum aber darauf verweist, dass ein Mengele mehr von einem Leo hatte als von einem Goebbels, hat er durchaus seine Berechtigung.)
    Ich stellte das Aufnahmegerät wieder an und schob meinem Onkel das Buch zu.
    »Hier: M kommt gleich nach L, und Mengele gleich nach Leo.«
    »Nee, oder? Zeig mal her. Scheiße, dooh. Das kann doch nicht wahr sein.«
    Was sein Vater eigentlich genau bei der SS gemacht habe.
    »Er war verantwortlich für die Selektion der Bevölkerung in den Grenzgebieten. Eindeutschungsfähige von Nichteindeutschungsfähigen trennen.«
    Ich zeigte auf den Schutzumschlag. Fotos von zwei Kindern waren dort zu sehen. Frontal, Profil, Halbprofil. Mit Nummern. Wie aus der Verbrecherkartei.
    »Das Mädchen haben sie bestimmt genommen, den Jungen wohl eher nicht.«
    Warum er sich da so sicher sei.
    »Dooh, Vater hat uns solche Bilder doch ständig gezeigt! Auf Dias. Er war ja ganz versessen darauf, Menschen zu unterscheiden. Und bei mir kam noch was anderes dazu. Der muss einen irren Schiss gehabt haben, dass ich die falsche Frau anschleppe. Bin mir sicher, dass er mich darum auch nicht nach Norwegen lassen wollte. Was hast du denn gegen Norweger, habe ich ihn gefragt, schöner arisch geht’s doch gar nicht, und ich meine: schön! Aber das war ihm unheimlich, wie alles, was er nicht kannte. Lern erstmal Deutschland kennen, hat er nur gesagt.«
    Ich wies ihn auf die Frisur des Jungen hin: der ganze Kopf ausrasiert, bis auf ein handgroßes Dreieck über der Stirn.
    »Großvater hätte dir auch mal so einen Schnitt verpasst, meinte Zweili, als er das Bild sah.«
    »So einen?

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