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Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Titel: Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Leo
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des Parteiamts für Agrarpolitik macht er die landwirtschaftliche Autarkie zu einem Schlüsselanliegen des neuen Staates; als Reichsbauernführer bringt er sämtliche Agrarverbände unter seine persönliche Herrschaft; als Ernährungsminister baut er mit dem Reichsnährstand eine Infrastruktur auf, die den gesamten landwirtschaftlichen Produktionssektor zentral verwaltet; als Ideologe der SS überwölbt er all diese Aktivitäten mit der Zukunftsvision eines großgermanischen Reichs, dessen neue Lebensräume rassereine, volksbewusste und wehrhafte Siedler dem deutschen Mutterboden anverwandeln sollen; als Chef des Rasseamtes der SS, das bald zum Rasse- und Siedlungshauptamt erweitert wird, obliegt ihm die Schaffung eines Elitestandes, der die Vision jederzeit mit Leben füllen könnte. Vor diesem Hintergrund leuchtet es ein, dass Darré die Landwirtschaft schnell zu einem Lehrberuf macht – keinen wie alle anderen, dafür hängt zu viel davon ab, aber gebunden an einen Katalog strenger Voraussetzungen für jedermann offen. Friedrich erfüllt sie jedenfalls alle, endlich einmal hat er Glück und alles richtig gemacht. Unter seinen Vorfahren sind keine Juden; er hat, wenn auch meistens mit sich selbst, in der »Kampfzeit« wirklich gekämpft; seine Hinwendung zum Bauerntum ist biographisch verbürgt, sein Bekenntnis zum Nationalsozialismus glaubwürdig. So gehört er zu den ersten Absolventen der Bauernschule, die Darré 1933 auf der Haneburg im ostfriesischen Leer gründet. Hier erwirbt er seinen Neubauernschein, die Berechtigung, eine vom Staat ausgeschriebene Hofstelle zu besetzen. Aus Mangel anneuem Boden sind die zwar einstweilen noch rar. Aber für eine Stelle im Reichsnährstand ist er überreif. Und der Traum vom Siedeln ist damit nicht ausgeträumt. Im Gegenteil, allmählich bekommt er eine Perspektive.
    1934 tritt Friedrich als Neubauer in die SS ein. 1935 heiratet er eine Frau von der Scholle. 1936 verkündet Göring der Wirtschaft offiziell den ersten Vierjahresplan, inoffizielles Planziel: Krieg. 1937 hat Friedrich schon zwei blonde Töchter. 1938 nimmt das Rasse- und Siedlungshauptamt ihn auf. 1939 fallen die polnischen Schlagbäume.
    Die Tore zum Osten haben sich geöffnet.

8. KAPITEL
VIER, DREI, ZWEI, EINS – FEUER
    Im Frühjahr 1999 stand Werder am Abgrund. Nach 1980 drohte der zweite Abstieg. Doch meiner Mutter war das egal; wenn sie etwas wollte, dann konnte sie nichts aufhalten. Und nun wollte sie weg aus Bremen. Zurück nach München. Ausgerechnet München, wird man vielleicht sagen, die Stadt des ewigen Konkurrenten. Doch nicht dieser Taktlosigkeit wegen nervte mich der Umzug, sondern weil für den ganzen Kram, den ich seit Jahren im Gartenschuppen meiner Mutter aufbewahrt hatte, ein neues Lager gefunden werden musste. Ihr neues Zuhause würde einstweilen nur provisorisch sein; und meine Berliner WG war so randvoll mit Mitbewohnern und reaktiviertem Sperrmüll, dass an weiteres Gerümpel nicht zu denken war. Also bat ich meine Oma, die Kartons bei ihr unterbringen zu dürfen. Im Keller, neben dem Heizöltank, fand sich ein geeigneter Platz. Als aber im Sommer 2004, Werder hatte gerade Meisterschaft und Pokal gewonnen, meine Oma altersbedingt aus dem Bremer Speckgürtel in die Innenstadt zog, musste über den Verbleib der Sachen erneut entschieden werden. Ich hatte im Osten kaum Lebensraum hinzugewonnen, also musste ausgesiebt werden. Zu den wenigen Dingen, von denen ich mich nicht trennen konnte, gehörte neben ein paar Büchern aus dem Giftschrank meines Großvaters auch die LGB.
    Von den Büchern soll noch die Rede sein. Doch wie ließe sich über sie sprechen, ohne zuvor von der Lehmann-Großbahn – Spurweite 45! – erzählt zu haben, einem exquisiten Stück bundesrepublikanischen Spielzeugs, das vollständig aufgebaut den Fußboden eines großen Wohnzimmers ausfüllte? Ich hing ich an ihr wie an kaum einem anderen Besitz meiner Kindheit. Vielleicht weil sie eine Ausnahme von der Regel darstellte, dass die Schwachstrombegeisterung meines Vaters bei mir nicht verfing. Wir beide liebten die LGB, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Seine Absicht war didaktischer Natur. Und eigentlich war die Idee auch nicht verkehrt. Von der Arbeit meines Vaters besaß ich nämlich nur eine sehr undeutliche Vorstellung. Wenn mich Freunde nach dem Beruf meines Vaters fragten, antwortete ich: Diplom-Ingenieur. Doch was hatten der schwarze Koffer mit Zahlenschloss und Messwandler damit zu tun? Die

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