Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)
Schwachsinn ist. Und wenn man weiter hinten noch auf Rudolf Zills Hitlerbild stößt und auf das irre Gemurmel, das der oberste Deutsche darunter an das einzige Wesen von noch höherem Rang richtet, dann vergeht einem der Spaß endgültig: Allmächtiger Gott, segne dereinst unseren Kampf; sei so gerecht, wie du es immer warst; urteile jetzt, ob wir die Freiheit nun verdienen; Herr, segne unseren Kampf! – Man möchte nie wieder im Leben ein Semikolon setzen.
Wie morsch in Wirklichkeit das ganze Heftchen ist, das wird auf der allerletzten Seite deutlich. Kleingedruckt finden sich dort neben den Quellenangaben die Korrekturen der Notensätze. Sie nehmen ziemlich viel Platz ein. Von insgesamt zwölf Liedern und Stücken haben nämlich nur zwei den Satz unbeschadet überstanden. »Aus zeitbedingten Schwierigkeiten«, wie es heißt. »Aus Unfähigkeit« wäre wohl ehrlicher gewesen. Eigentlich erstaunlich, dass die SS, die fürsekundäre Kriegszwecke wie die Endlösung der Judenfrage reichlich Personal erübrigen konnte, nicht in der Lage war, dem F. Bruckmann Verlag einen einzigen Notensetzer u. k. zu stellen. Das Menuett von Johann S. Bach jedenfalls sei, so informiert die Schriftleitung den Leser, derart verschrieben, dass sich eine Korrektur gar nicht mehr lohne. Man ist geneigt, dem Weltgeist für diese kleine List zu danken. In allen anderen Fällen aber hatte man keine Mühen gescheut, der um Innigkeit bemühten nordischen Seele alle Missklänge zu ersparen. Im Fall eines schon recht beliebten neueren Liedes, dessen Noten aber auch die meisten Sturmbannführer wohl noch nicht besaßen, waren 43 von insgesamt 103 möglichen Setzfehlern gemacht und durch entsprechende Hinweise zur Eigenkorrektur vorbereitet worden.
Aber hören wir selbst, wozu das führen konnte.
»Das klang ja komisch«, sagt der Vater. »Kann eigentlich nicht stimmen.«
»Sieh doch mal nach«, antwortet die Mutter, »ob da irgendwo Korrekturen stehen. Meist hinten.«
»Ja, da sind wirklich welche. Ui, ganz schön viele sogar. Warte, ich schreibe die Noten eben ab. – – So, hier. Diktierst du mir mal bitte?«
»Gerne, gib her. – Bist du so weit? Also gut: 1. System, Oberstimme, 1. Takt: eingestrichen f statt eingestrichen g, eingestrichen e statt eingestrichen f, eingestrichen d statt eingestrichen e; 2. Takt: eingestrichen a statt eingestrichen h, nochmal eingestrichen a statt eingestrichen h, nochmal eingestrichen a statt eingestrichen h; Unterstimme, 1. Takt: eingestrichen d statt eingestrichen c, eingestrichen d statt eingestrichen e; 2. Takt: eingestrichen e statt eingestrichen f, eingestrichen d statt eingestrichen e, eingestrichen cis statteingestrichen dis; 2. System, Oberstimme, 1. Takt: a statt h, nochmal a statt h, 2. Takt, schon wieder a statt h, und nochmal a statt h; Unterstimme, 1. Takt: d statt e, cis statt dis, groß H statt c, 2. Takt: cis statt dis, groß H statt c, groß A statt groß H; 3. System, Oberstimme, 1. Takt: eingestrichen h statt zweigestrichen c, eingestrichen h statt zweigestrichen c, zweigestrichen cis statt zweigestrichen dis; 2. Takt: zweigestrichen d statt zweigestrichen c, zweigestrichen d statt zweigestrichen c, a statt eingestrichen h; Unterstimme, 1. Takt: eingestrichen g statt eingestrichen a, eingestrichen fis statt eingestrichen gis; 2. Takt: eingestrichen f statt eingestrichen g, eingestrichen e statt eingestrichen f; 4. System, Oberstimme, 1. Takt: eingestrichen d statt eingestrichen f, a statt h; Unterstimme, 1. Takt: g statt a, fis statt gis; 5. System, Oberstimme, 1. Takt: eingestrichen h statt zweigestrichen c, eingestrichen h statt zweigestrichen c, zweigestrichen cis statt zweigestrichen dis; Unterstimme, 1. Takt: eingestrichen d statt eingestrichen c, eingestrichen d statt eingestrichen c, eingestrichen e statt eingestrichen f; 6. System, Oberstimme, 1. Takt: g statt a, a statt h; Unterstimme, 1. Takt: g statt a, und nochmal g statt a. Puh.«
»Ist das alles?«
»Ja. Aber kann man das denn überhaupt noch lesen?«
»Na ja, ziemliches Gekritzel.«
»Zeig mal her, Liebling. O je, wie sieht das denn aus? Das geht so nicht. Komm, ich übertrage das schnell auf ein neues Notenblatt. – – So, jetzt aber. Mädchen, ihr die erste Stimme, Vater und ich die zweite!«
»Na, dann los. Gibst du mir mal ein a? – Aaaah, Aaaah.«
Zwo, drei, vier –
Bald nun ist Weihnachtszeit, fröhliche Zeit.
Jetzt ist der Weihnachtsmann gar nimmer weit,
Horch nur, der Alte klopft draußen ans
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