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Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Titel: Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Leo
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hätten bekommen können? Junge, Junge, du scheinst immer noch nicht verstanden zu haben, was für ein verdammtes Glück du hast! Du lebst in einem Rechtsstaat, und den Rest der Welt träumst du dir zusammen, wie es dir gefällt. Aber genau das muss man sich eben leisten können. Verdammt nochmal, da bist du wirklich Kind deiner Mutter: wenn’s um dein Vergnügen geht, kennst du keine Verwandten!«
    Glück gab es für meinen Vater nur in zwei Formen. Beide schienen in seinem Leben keine Rolle zu spielen, dafür in meinem eine umso größere. Glück war entweder etwas, das ich besaß, ohne es zu würdigen, was ihm das Recht gab, mich darüber zu belehren. Oder ich besaß es nicht, was ihm das Recht gab, es für mich zu erzwingen. Dass überhaupt von Glück die Rede war, und das in beträchtlicher Lautstärke,offenbarte mir nun, dass es wohl doch kein Familienbesuch wie jeder andere war. Es dauerte aber eine Weile, bis mir Ziel und Zweck der Reise wieder zu Bewusstsein kamen. Noch hallte der Knall nach, mit dem wir da gerade im sogenannten Ostblock gelandet waren. Angestrengt versuchte ich beim Blick aus dem Fenster, die Eindrücke mit meinem Wissen vom Kommunismus in Einklang zu bringen. Die riesigen Felder. Ob sie etwas mit Marx zu tun hatten? Ich fragte meinen Vater. Aber der war nicht ansprechbar.
    Als wir uns Dresden näherten, war es schon dunkel. Erstaunlicherweise änderte sich daran kaum etwas, als wir in die Stadt hineinfuhren. Das Laternenlicht war hässlich, schwach und eitel, es schien außer sich selbst nicht viel zu dulden. Es tauchte die ganze Stadt in einen Glutschimmer, der von Häusern, Autos und Straßen kaum mehr zeigte, als gerade eben zur Vermeidung von Zusammenstößen nötig war. Die Szenerie glich so sehr einem Traum, dass es mich überhaupt nicht erstaunte, als in der Ferne die mächtige Silhouette eines orientalischen Palasts auftauchte. Und dann öffnete sich zur Linken breit und schwarz die Elbe. Von ihr sollten wir uns nun leiten lassen, hatte C. geschrieben. Die Straße schien durchs Zentrum zu führen. Um uns herum erhoben sich Mauern und Gebäude, von denen man ahnte, dass sie alt waren. Verließ denn hier abends kein Mensch das Haus? Kaum irgendwo sahen wir einen Fußgänger, und vor den Ampeln hielt meist niemand außer uns. Die wenigen anderen Autos sahen alle gleich aus, klein, sandfarben und lächerlich nützlich. Hätten wir ununterbrochen gehupt und Helmut-Kohl-Plakate aus dem Fenster gehalten, wir hätten kaum auffälliger sein können, als wir es mit dem roten Mercedes ohnehin schon waren. Unsere bloße Anwesenheit kam mirungeheuer taktlos vor. Ich rechnete damit, dass uns jeden Moment ein Volkspolizist anhalten und nach unserer Atmungserlaubnis fragen könnte. Dabei taten wir nichts anderes, als in dem Auto, das wir nun mal besaßen, das Haus unserer Verwandten zu suchen. Und das erwies sich als gar nicht so leicht. Wir waren schon ziemlich lange geradeaus gefahren, als sich plötzlich die Straße gabelte. Davon hatte C. nichts geschrieben. Instinktiv hielt sich mein Vater weiter an der Elbe, aber der Schillerplatz wollte einfach nicht auftauchen. Ich fand das seltsam und schlug vor, nach einem Passanten zu suchen und ihn nach dem Weg zu fragen. Mein Vater wiegelte ab.
    »Wir finden das schon.«
    Ja sicher, dachte ich, spätestens morgen früh wird C. seine Westverwandten bei der Polizei als vermisst melden. Der kleine M42 und der kleine Per, unterwegs in einem knallroten Mercedes mit Münchener Kennzeichen. Aber irgendwie schafften wir es auch so.
    Seit dem Grenzübertritt hatten wir die Fenster nicht mal einen Spaltbreit geöffnet. Als wir jetzt ausstiegen, kam ich mir wie Neil Armstrong vor. Aber nur für einen kurzen Moment, dann überwältigte mich ein würziger Geruch, zu dem mir nichts mehr einfiel.
    »Was ist das?«, fragte ich meinen Vater, während ich mir mit den Fingern Luft zufächerte.
    »Braunkohle. Kennst du gar nicht, was?«
    Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
    Das Haus lag an einer kaum befahrenen Kreuzung. Für sozialistische Verhältnisse kam es mir erstaunlich groß vor, aber es wirkte nicht einschüchternd. Eine gemütliche Treppe führte zu einem überdachten Podest, wo sich der Eingang befand.Mein Vater klingelte. Eine ganze Weile standen wir in der dunkelorangen Nacht und warteten. Dann ging die Tür auf. Vor uns stand ein junger Mann von vielleicht siebzehn Jahren. Während ich mich noch angestrengt seines Namens zu erinnern suchte, breitete

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