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Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Titel: Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Leo
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er seine Arme aus wie ein Pastor, der seiner Gemeinde den Segen erteilt, und rief »Willkommen!«, ziemlich laut und wohlartikuliert. Ich erschrak. Diese Begrüßung klang wie … ja wie? Aus einer anderen Zeit? In einer anderen Sprache? Jedenfalls war sie schockierend unverstellt. Mit dermaßen fremden Sitten hatte ich nicht gerechnet. Was tun? Ich probierte es mit Arroganz. Sieh mal an, dachte ich, während S. meine Hand kräftig schüttelte, so sehen sie also aus, diese wohlerzogenen Jungs, von denen man immer wieder hört; es gibt sie wirklich, interessant. Doch weiter kam ich glücklicherweise nicht. Noch bevor die Coolness ganz von mir Besitz ergreifen konnte, tauchten hinter dem vermeintlichen Konkurrenten nämlich seine Eltern auf: ein nicht allzu großer, etwas rundlicher Mann mit zurückgekämmtem Resthaar, der nach einer herzlichen Umarmung immer wieder bedächtig mit dem Kopf wackelte und dabei lächelnd »mmmh, mmmh« machte, was auf ein unbestimmtes Wohlgefallen schließen ließ; und eine kleine Frau mit Mireille-Mathieu-Frisur, die meinen Vater und mich förmlich ins Haus hineinzog, wo sie uns mit quecksilbriger Gewandtheit die Jacken vom Leib riss, als wären wir zwei lange ausgebliebene Lausbuben, die nun dringend mal gebadet werden müssten. Mein Vater hatte seinen Cousin zuletzt vor fast dreißig Jahren gesehen, ich kannte keinen dieser Menschen; aber ihr Verhalten ließ gar keinen anderen Schluss zu, als dass wir tatsächlich willkommen waren. Sie schienen sich ehrlich über unseren Besuch zu freuen. Ich weiß nicht,womit ich gerechnet hatte, damit jedenfalls nicht. Auf einen Schlag war München unendlich weit weg. Mich durchzuckte der Gedanke, dass das ja auch Leos waren. Ich versuchte, sie mit Onkel Martin in Verbindung zu bringen, dem alten gebeugten Mann mit der glatten Gesichtshaut und den Sonnenflecken. Es gelang mir nicht.
    Die Tür wurde geschlossen.
    Das Schiffchen, auf dem wir da gelandet waren, warf seinen Motor an.
    Wir tuckerten ins Innere der DDR.
    Zwei Räume des Hauses, durch das unsere Gastgeber uns nun führten, spielen in meiner Erinnerung eine besondere Rolle. Der eine war das sogenannte Reich, in dem S. wohnte. Wäre der aufziehende Spott nicht schon bei der Begrüßung im Keim erstickt worden, es hätte ihn mir spätestens verschlagen, als S. uns seine Tür öffnete. Ohne jede Aufdringlichkeit, mit ruhigem Stolz, der sich über niemanden erhob, zeigte uns Martins Enkel seine Werkstatt für Schiffsmodelle. Denn nichts anderes war dieses Zimmer. Doch keine Spur deutete auf Arbeit und Mühsal hin, vielmehr lag über allem, über den Werkzeugen, Baumaterialien und Rohlingen genauso wie über den ausgestellten Modellen, eine Aura liebevoller Sorgfalt. Keinen Bindfaden schien es hier zu geben, der nicht schon für eine Winde gesponnen worden wäre, keine Zigarrenkiste, die nicht immer schon ein Schiffsrumpf hätte sein wollen, kein Stück Blech, das je etwas anderes gewesen war als ein Schaufelrad. Am schwierigsten, erklärte uns S., sei die Beschaffung von Lackfarben. Ich schämte mich. Denn wir hatten nur Kaffee, Schokolade und Kiwis im Gepäck.
    Der andere Raum, in dessen Gestalt die DDR für immer Platz in meinem Gedächtnis nahm, war das kleine Gästezimmerim Keller. Äpfel, Maschinenöl, kühle Luft und feuchter Putz hatten sich hier zu einem Duft vereint, wie ihn nur altes Mauerwerk speichern kann.
    Das Bett meines Vaters lag im Halbdunkel, er hatte die Augen schon geschlossen. Nur meine Leselampe verströmte noch ein schwaches gelbes Licht. Auf der anliegenden Straße gurrte ein Zweitakter heran, ein Scheinwerferblitz zuckte durch die kajütenartigen Fenster, dann wurde es wieder still. Ich musste an meine Mutter und meine Schwester denken und fragte mich, ob sie wohl gerade in München ein ähnlich verbunden-unverbundenes Paar abgaben wie mein Vater und ich. Vermutlich nicht. Ich jedenfalls wäre in diesem Moment wohl nicht so zufrieden gewesen, wenn ich in meinem eigenen Bett gelegen hätte. Mein Kopf, das wusste ich, wäre in der Stadt umhergewandert, zum vergeigten Tennismatch vom Mittwoch, zur Party in Bogenhausen, zu der ich nicht eingeladen worden war, zu Markus, der sicher gerade wieder dichtete oder komponierte, zu Sabine, deren Gesicht meiner Erinnerung immer wieder entglitt. Tatsächlich aber war für solche Gedanken gar kein Platz, so voll war ich von dem unbekannten Land, in das es uns verschlagen hatte, und der überraschenden Wärme, in die dieses fremde Haus

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