Flutgrab
und Geld holen, als ein lauter Knall die Luft zerriss. Rungholt tauchte so ruckartig hinter dem Wagen ab, dass ihm die ausgebrannte Wunde ein Schwert bis in die Brust rammte. Ihm blieb die Luft weg.
Anschlag!, schoss es ihm durch den Kopf. Pulverfass! Er konnte Schreie hören. Männer brüllten, das Pferd wieherte. Zögerlich tastete er sich am Wagen nach vorn und spähte am Gurkenfass vorbei.
Kein Feuer, keine Explosion. Es war der Wagen. Beide Achsen waren gebrochen. So etwas hatte Rungholt noch nicht gesehen. Sie waren gesplittert, die ganze Ladefläche war auf den Boden gekracht. Vier Fässer und einige Kisten waren trotz der Seile heruntergerutscht und auf den Gotlandfliesen zerschellt. Grapen rollten scheppernd herum, etwas flog durch die Luft und traf Rungholts Esstisch. Erst jetzt wurde er gewahr, dass sich der Rappe losgerissen hatte. Das stolze Tier scheute, sprang in Panik herum und bockte, als die Männer versuchten, es zu beruhigen. Als einer der Männer den Zügel greifen wollte, stieg es in die Höhe, sprang über die geborstenen Fässer und wäre beinahe die Wendeltreppe hinaufgaloppiert. Im letzten Moment drückte der Wallach sich zur Seite, rutschte auf den mit Gurkenmus getränkten Eichhörnchenfellen aus und schlug hin.
Fassungslos sah Rungholt dem Pferd in seinem Haus zu, nicht fähig, sich zu bewegen. Er hatte das Gefühl, es dauerte Stunden, bis die Männer den Rappen eingefangen und beruhigt hatten.
»Geht nach Hause«, meinte Rungholt getroffen. Seine Beine fühlten sich wie Blei an. Seine Augen brannten vor Müdigkeit. Er wollte gar nicht daran denken, wie wenig Zeit ihm noch blieb, bis d’ Alighieri mit seinen Männern das Haus in Beschlag nahm.
Aber es hatte keinen Sinn. Die Achsen waren geradewegs in der Mitte gebrochen, und sie würden den ganzen Wagen abladen, ihn auseinandernehmen und nach draußen tragen müssen. Der Verband an seiner rechten Hand kratzte. Er nahm sich seine Gnippe, wischte sie an der Husse ab und begann sich damit unter dem Verband vorsichtig zu kratzen.
»Geht nach Hause«, wiederholte er noch einmal matt. »Wir machen morgen weiter. Morgenmesse ist gestrichen. Seid vor Sonnenaufgang hier.«
Mareks Männer sahen sich reihum an. Sie wussten nicht recht, ob Rungholt nach dem harten Tag, an dem sie Stund um Stund aufgeladen hatten, scherzte.
»Geht nach Hause !«, schrie er sie schließlich an. »Alles abzuladen und einen frischen Wagen zu holen …« Er winkte ab.
Geknickt rafften Mareks Männer ihre Sachen zusammen, streiften sich Gugeln über, nahmen ihre Umhänge, gingen aber erst, nachdem sie die Gurte und Joche, mit denen sie die Waren geschleppt hatten, zurück auf die Handkarren gepackt und alles säuberlich an der Hauswand aufgereiht hatten.
Rungholt trat noch einmal hinaus in den Nebel. Hildes Beete waren tatsächlich niedergetrampelt worden. Er stand ruhig da und sah seinem Atem zu, der die feuchte Luft verwirbelte. Der Nieselregen benetzte den Warenstapel, der bis in den zweiten Stock seines Hauses reichte. Auch diesen Wagen würden sie morgen entladen müssen, wenn sie ihn bewegen wollten. Um alles bei Mirke unterzubringen, würden sie zwei Mal fahren müssen. Vier Mal berichtigte sich Rungholt, wenn sie keinen Ersatz holten.
Vier Mal zu Mirke in die Marlesgrube. Alles entladen, verstauen und zurück. Mit acht Mann. Es würde den ganzen Tag dauern – und Rungholt konnte nur das Kostbarste einladen lassen.
Sein Blick strich über die Schnitzaltäre vom obersten Dachboden. Er streckte die Fackel aus und ließ den Schein wandern. Mareks Männer hatten sie zwar mit Seilen gesichert, aber nicht abgedeckt oder in Stoff geschlagen. Ihr schwarzes Holz, seit Jahren im Schatten, im Dunst des Dachbodens, schimmerte vom Regen im Fackelfeuer.
Ich laufe davon, dachte er. Ich werde Gryps nicht finden, und ich werde mein Haus, meine Brauerei, mein Schiff verlieren. D’ Alighieri, du Fuchs. Ich laufe wie ein getretener Hund davon. Meine letzte Flucht endete an einer Scheune, endete an einem See, endete in einem Meer aus Blut und Eis. Im Fliehen bin ich nicht besonders gut, dachte er und musste schmunzeln.
Mit einem Mal meinte er, einen Schatten hinter dem Wagen zu sehen. Ein Huschen. Eine winzige Veränderung im Dunst.
Rungholt trat vor. »Contz?« Er bewegte die Fackel. Ihr Licht erhellte den Nebel, ließ ihn zu einer weißen Wand werden. Das Flackern durchdrang die Suppe bloß ein paar Armlängen. »Contz? Du solltest den Frauen doch helfen … Contz?
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