Flutgrab
krank, der Peter. Aber auch er wurde gemeuchelt. Geradezu hingerichtet, wenn Ihr mich fragt.«
In dem Moment sackte Peter zur Seite weg. Rungholt versuchte noch, die Knabenleiche am Arm zu packen, bekam jedoch nur das Hemdchen zu fassen. Er riss es dem Jungen halb vom Körper, als er ihn daran festhielt.
»Verdammt«, brummte er und stockte dann: »Was ist das denn?«
Beim Wegrutschen war der Oberkörper des Jungen ein wenig entblößt worden. Seine Arme und seine Brust waren zerkratzt. Leichte Schwellungen, wie Blasen unter der Haut, hatten sich auf den Armen und an den Achseln gebildet. Sie waren blaurot verfärbt.
»Ist er geschlagen worden?« Dartzow traute sich noch immer nicht an dem Geköpften vorbei und spähte mit gerecktem Hals herüber.
»Sieht so aus, ja.« Rungholt fröstelte, seine Kehle war wie zugeschnürt. Der Junge war so zierlich, so zerbrechlich. Unwillkürlich tauchte das Bild seiner Enkeltochter vor ihm auf. Ihr unschuldiges Lachen, die ersten wackeligen Schritte. Hatte die Mutter ihr Peterchen noch schützen wollen? Er kehrt zurück in ihre Arme, in die Arme seiner Familie, und dann so etwas … Das Schwert zerstört das Glück binnen eines Lidschlags.
»Meint Ihr, er wurde geschlagen, als er fort war?«
Rungholt atmete durch. »Ist alles geschwollen. Sieht aus, als habe er Prügel mit der Knute bekommen. Die Größe des Knotens könnte passen … Wer so was tut, der … Müssen schreckliche Tage gewesen sein.«
»Wir wissen nicht, wo er war.«
»Wie viele werden noch vermisst?« Der klare Blick des Jungen hielt Rungholt gefangen.
»Acht. Acht, von denen wir wissen.«
Sanft fuhr Rungholt mit seinen Fingern über Peterchens Stirn, dann über die Lider. Er konnte die Wimpern des Kindes spüren, als er sie schloss. Seine Hand zitterte ein bisschen. Er wollte sich nichts anmerken lassen, wollte lieber den Unnahbaren geben, eher den dumpfen Groll zeigen als den Schmerz.
Wer immer diese Blutschuld über die Stadt gebracht hatte, besaß kein Herz. Seine Knochen sollten vom Rad zerschlagen werden, sein Leib aufgepflanzt vor der Stadt.
Rungholt holte ein paar Mal Luft, dann sah er Peterchens Lider wieder einen Spalt aufgleiten. Brummend warf er das zerrissene Hemdchen über den Toten, dabei fiel sein Blick auf Peterchens rechten Arm. Rungholt zog ihn zu sich her. Da waren Striemen. Oder täuschte er sich? Drei Linien zogen sich ein kurzes Stück den Arm entlang. War der Junge gefesselt worden? Nein, das sah eher nach Druckstellen aus. Beinahe hätte er sie zwischen den Schwellungen gar nicht gesehen. Sie sahen aus wie …
Runen, schoss es ihm durch den Kopf.
Sie erinnerten ihn an den Schädel. Aber da war noch etwas anderes. Striemen, Striche … Auf dunklem Grund, tief, sehr tief ein Bild … Da war etwas … Doch es vermochte nicht an die Oberfläche aufzutauchen.
Selbst Dartzow sah sein grüblerisches Zögern, doch Rungholt antwortete nicht auf dessen fragenden Blick, sondern schob sich vom Bett.
»Lasst uns gehen. Befragt Jakobus. Ihr sucht einen starken Mann. Wahrscheinlich einen Söldner oder Riddere, der mit dem Schwert umgehen kann. Eine Axt war es wohl nicht, denn er hat auch gestochen … Und kein Langschwert. So wie die Leichen liegen, muss das alles in wenigen Augenblicken passiert sein. Und ein Zweihänder in diesem kleinen Raum?« Rungholt schüttelte den Kopf. »Es war etwas mit Wucht. Ein kurzes, schweres Schwert. Und Ihr solltet rausbekommen, was der Mord mit den Entführungen zu tun haben könnte.«
»Mit den Entführungen … Das ist doch dumm Tüch«, hallte eine Stimme durch den Keller. Die beiden Männer fuhren herum und sahen den Rychtevoghede Lübecks in der Tür stehen.
Herman Kerkring. Auf seinen Gehstock gestützt, die Beinlinge über die Knie hochgestreift, stand der Richter barfuß im Wasser. Hinter ihm kämpfte der alte Fiskal Lübecks mit einem Taschentuch, das er ihm reichen wollte. Er hatte jedoch zu viel Kram in der Hand, Kerkrings Trippen, dessen bunte Schnabelschuhe und das ganze Schreibzeug.
Während Dartzow den pausbäckigen Richter begrüßte, musterte dieser Rungholt mit eiskaltem Blick. »Rungholt – wo immer Leichen sind, seid auch Ihr.«
12
»Ist mir gleich, ob Dartzow Euch gebeten hat«, zischte Kerkring. »Dies ist mein Fall. Ich suche seit drei Wochen nach den verschwundenen Jungen.«
»Ach? … Na, da habt Ihr ja endlich sinnvolle Arbeit.« Nur widerwillig war Rungholt dem jüngeren Mann in den Regen und die paar Schritte zur
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