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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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ärmlich gekleidete Männer aus der Zunft der Träger, einige Witwen, aber vor allem Handwerker waren nach der Morgenmesse zum Rathaus geströmt.
    Rungholt zählte mehr als zwanzig Fleischhauer, die neben einem Dutzend Böttchern, ein paar Seilern, Garbreitern und Kerzenmachern mit hasserfüllten Gesichtern in das Vestibül des Rathauses drängten. Und drinnen, dort, wo sonst Ratsmänner lachend Geschäfte schlossen, wo Säckchen voller Witten klimpernd den Besitzer wechselten und Schmuck im Licht der Öllampen glitzerte, zerschlugen sie erste Buden und skandierten lauthals gegen den Rat.
    Rungholt scherte sich nicht um das Geschrei. Er hatte schlechte Laune. Dank Marek und Agnes war er zwar einen Schritt weitergekommen, aber de Kraih hatte ihn abgewiesen. Nachdem er sich angekleidet hatte, war er als Erstes in den Pergamentmachergang geeilt – nur um von der Krähe abgefangen zu werden. Dass Alheyd ihm keine Morgensuppe aufgetischt hatte, war ihm gerade recht gewesen, denn er hatte seine Wut bündeln wollen. D’ Alighieri belog ihn nach Strich und Faden. Sein Edelsteindieb musste, da war Rungholt jetzt sicher, etwas mit dem Verschwinden der Kinder und Agnes’ Tod zu tun haben. Gewiss war er auch an Peterchens Tod schuld. Rungholt hatte d’ Alighieri an die Wand drücken, ihm die Schröpfgläser zwischen die blauen Lippen und das Purgiermesser in den Hals rammen wollen. In seinen ach so scheißträgen Säften sollte dieser Wittenfresser vor ihm auf dem Boden liegen und zugeben, dass er Rungholt für seine Zwecke missbraucht und ihn in die Irre geschickt hatte.
    Toben hatte Rungholt wollen, wüten und de Kraih an die Gurgel gehen, doch der hagere Kerl war ganz ruhig geblieben und hatte auf Rungholt eingeredet, als wäre der bloß ein unverständiges Kind. Sein Herr und Meister sei unterwegs nach Stralsund, hatte er gesagt. Er werde ihm berichten, und selbstverständlich werde sich d’ Alighieri, so schnell es seine Geschäfte zuließen, mit Rungholt treffen. Er werde allerdings erst am Samstag wiederkommen.
    »Weg! Ich muss durch!« Ellbogen, Schultern, Bäuche bekam Rungholt ab, als er sich durch die Rathaustür drücken wollte, und wurde wieder hinaus in den feinen Nieselregen gedrängt. Als ihm ein junger Böttcher den Ellbogen in den Rücken drückte und der Schmerz ihm den Atem raubte, hätte Rungholt beinahe seine Gnippe gezückt und sie dem Kerl in den Hals gerammt. Vermaledeite Handwerker, zürnte er.
    »Lasst mich durch! Geht beiseite«, rief er, aber niemand hörte ihn.
    »Wir wollen die Bürgermeister sehen … Ja! Bringt sie alle runter! Auch die Ratsherren … Auf den Köpfelberg mit ihnen! Raus aus Lübeck. Wo sind unsere Kinder? Warum lasst ihr uns verhungern!«
    Dartzow hatte Recht mit seiner Angst: Erst treibt der Hunger das Gesindel in die Hudewälder, um Früchte, Eicheln und Wurzeln zu fressen – dann direkt ins Rathaus. Wird Zeit, dass Dartzow eine Bursprake hält, dachte Rungholt, anstatt sich zu verschanzen. Er sollte nicht nachts durch die Gassen hetzen, sondern sich lieber den Bürgern stellen.
    Er wollte zur Treppe, musste sich aber mit ganzer Kraft erst einmal Zutritt verschaffen und dann durch die Vorhalle kämpfen. Ein paar der stämmigen Schlachter schrien ihm ins Gesicht und begannen, ihn zu stoßen.
    »Finger weg! Nehmt eure dreckigen …! Ich hack sie euch ab!« Entrüstet versuchte Rungholt, sich den Pöbel vom Leib zu halten, doch das Gedränge war zu dicht.
    Immer mehr Männer wandten sich ihm zu, sodass Rungholt keinen anderen Weg sah, als einen der Fleischhauer zu packen. Er griff ihn an der Gurgel, presste seine Pranke halb um den Hals des Mannes, der zu verblüfft war, um sich wehren zu können, und stieß ihn vor sich her. Wie einen lebenden Schild hielt er den kompakten Kerl vor sich und bahnte sich so einen Weg zwischen den aufgebrachten Menschen hindurch.
    Die Umstehenden blafften ihn an, zwei Böttcher schrien auf, weil sie nicht schnell genug hatten zur Seite springen können. Aber Rungholt blieb unerbittlich, stieß den Schlachter so brutal gegen sie, dass die Böttcher zu Boden gingen. Hände strecken sich nach Rungholt aus, wollten ihn packen, doch er hatte den Stiernacken bereits bis zur breiten Treppe des Rathauses gestoßen. Hier bewachten drei grimmig dreinblickende Riddere – die Leibgarde der Ratsmänner – den Durchlass. Mit Schwertern bewaffnet stießen sie den Pöbel zurück und zogen Rungholt zu sich her, als sie seine teure Schecke sahen.
    Sofort

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