Flutgrab
Geld.«
Aus Versehen riss er zwei weitere Gläser ab. Wiesberg stöhnte, aber d’ Alighieri stoppte ihn mit einem Blick. Er fuhr sich über den kahlen Schädel: »Ha! Seht nur. Merda. Ich stehe in Scherben. Kein schlechtes Bild, Rungholt. Kein schlechtes Bild. Ich bin froh, dass Ihr mein Gast seid. Das meine ich, Scheiße noch mal, ernst, Rungholt. Ihr könnt mich nicht leiden, es ist, wie es ist. Ich kann Euch auch nicht riechen.« Der Anflug eines Lächelns. »Verdammt noch eins, Wiesberg, was treibt Ihr da?«
Der Medicus hatte die schwere Houppelande von d’ Alighieri hochgehoben, rutschte darunter auf allen vieren herum und bemühte sich, die Scherben aufzulesen.
»Hätte nicht übel Lust, dir auf den Kopf zu pissen, Wiesberg.« D’ Alighieri gab dem Arzt einen Tritt, stieg über ihn hinweg und schwebte ein Stück auf Rungholt zu. Den überraschte es wenig, blutige Fußspuren auf den Dielen zu sehen. Ein paar Splitter hatten sich durch d’ Alighieris Schnabelschuhe gebohrt, aber dem Florenzer schienen sie nichts auszumachen. »Zieht er ihnen wirklich die Haut vom Schädel?«
»Kommt zur Sache, d’ Alighieri. Meine Zeit ist kostbar. Soweit ich weiß, wurden nur Kinder niederer Stände entführt. Handwerkerkinder, Tagelöhner, die Kinder von Mägden und …« Rungholt brach ab, denn d’Alighieris Lippen formten schon wieder ein feines Lächeln.
»Ihr habt einer Magd ein Kind gemacht?«
D’ Alighieri hob zwei Finger. »Zwillinge.«
»Zwillinge. Und? … Was schert es Euch?«
D’ Alighieri blitzte Rungholt an. Also doch, dachte der. Eine Spur Menschlichkeit ist noch in diesem blaubleichen Gerippe.
»Ich mag in den Beinen kaum was spüren«, der Florenzer sah nach unten auf die Blutspur, blickte dann Rungholt an. »Aber das heißt noch lange nicht, dass ich da«, er tippte sich auf die Brust, »nichts fühle, Scheiße noch mal. Sie sind mir ans Herz gewachsen. Sieben Jahre sind sie alt, die beiden. Haben’s gut gehabt. Es soll keiner wissen. Sie sollen ein besseres Leben haben, hier in dieser Scheißstadt, als ich.«
»Und deswegen habt Ihr mir diese Posse vorgeführt? Der Kurier, die Mauer …«
»An der Mauer hat der Büttel den Mann tatsächlich verloren. Doch dieser gottlose Ketzer ist von Peterchen gekommen! Und zwar schon Sonntagnacht. Porca vacca, hätte ich Wiesberg zu Euch geschickt, um zu fragen, ob Ihr meine unehelichen Kinder sucht, Ihr hättet doch, verdammt noch mal, gelacht.«
»Für wen haltet Ihr mich?«
Die beiden maßen einander mit Blicken. Eine Pause entstand. Die Ruhe wurde nur durch Wiesberg gestört, der um d’ Alighieris Beine scharwenzelte und versuchte, die Blutung zu stillen. »Für wen haltet Ihr mich?«, konterte d’ Alighieri. »Die Frage gebe ich zurück.«
Da öffnete de Kraih die Geheimtür. Acht Bedienstete traten ein, alle schwer beladen mit kostbaren Glastellern und Weinkrügen. Zwei Köche trugen eine verzierte Silberplatte mit einem riesigen Auerhahn. Sofort begannen die Männer mit eingespielten Handgriffen, Stühle aufzuklappen und einen Tisch herzurichten.
»Seid mein Gast, Rungholt. Ihr wisst bereits, wie dieser Unmensch heißt. Gryps … Ein Schmied, habt Ihr gesagt, ist er. Vaffanculo!«
Er ließ sich einen Stuhl hinschieben, forderte Wiesberg und de Kraih auf, sich ebenfalls zu setzen, und fuhr seine Männer an, sie sollten Rungholt den Platz bereiten. Ehe einer von ihnen reagierte, hatte Rungholt sich schon gesetzt. »Wieso die Mauer? Woher wusstet Ihr von Mornewech? Ihr habt mich am Montag hergeholt, aber Peterchen starb erst Dienstag.«
Wiesberg kicherte und reichte die Schüssel mit Handwasser herum. »Falsch. Ganz falsch.«
»Wiesberg!« D’ Alighieri ließ es sich nicht nehmen, mit zitternden Gichthänden Rungholt Wein einzuschenken. »Er ist am Sonntag umgebracht worden. In der Nacht, bevor ich de Kraih zu Euch schickte.«
Rungholt nippte. Der Wein war gut. Einige Jahre alt. Er schmeckte nach Eichenholz und ein wenig Honig. Im Kerzenlicht sah er jedoch nicht viel anders aus als d’Alighieris Blut.
»Das ist Unsinn.« Rungholt wusch sich die Hände in dem heißen Wasser. D’ Alighieris Köche hatten Zitrone und Kamille hineingetan. »Ich habe die Leichenstarre geprüft.«
»Ihr seid nicht der einzige Mann in Lübeck, der sich für Tote interessiert, Rungholt.« Wiesberg kratzte seinen Kopf und schnappte sich quer über den Tisch das größte Fleischstück. Während er schmatzend kaute, gelang ihm das Kunststück, auch noch zu reden:
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