Flutgrab
Holz.
Sei still. Ich habe sie nicht umgebracht.
Natürlich hast du.
Sein Herz raste. Er spürte es bis in seinen Hals schlagen. Noch hätte er eine Lüge erfinden können. Im ersten Stock würde es keine Ausflüchte mehr geben.
Der Geselle stellte das schlanke Fass zu Meenkens ans Feuer, klemmte es in einen Eisenrahmen und trat mit dem Meister ein paar Schritte zurück, um den Faden zu spannen.
»Gib’s mir«, befahl Meenkens und kehrte Rungholt den Rücken zu. Der zögerte keinen Augenblick, huschte Richtung Treppe und verbarg sich sofort wieder. Diesmal hinter einigen Daubenschalen und einem Büschel von aufgehängten Hanffasern, die der Böttcher zum Abdichten benutzte.
So leise er konnte, atmete er aus. Ein Knall. Holz auf Holz. Rungholt zuckte zusammen, stieß gegen den Hanf. Lautlos tanzten die Fasern hin und her, einige fielen zu Boden, doch Meenkens und sein Geselle waren zu beschäftigt.
Stocksteif beobachtete Rungholt durch den wippenden Vorhang, was geschehen war. Der Junge hatte mit dem Seil an der Öse gezogen und so über eine Mechanik im Innern des mannshohen Fasses den Deckel aufspringen lassen.
Wozu auch immer man auf diese Art Fässer öffnen musste, Meenkens jedenfalls schien zufrieden.
Fässer, die man von ferne öffnen kann, grübelte Rungholt. Mit einem Mal schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: Potthunde. Es war bloß eine Eingebung, aber das Bild blieb. Was, wenn ein schwelender Kienspan oder eine Fackel auf das Fass gelegt wurde und Meenkens das Fass mit diesem …, diesem dunklen Pulver gefüllt hatte. Waren sie schlank genug, um sie in andere Fässer zu stecken, die sie mit gewöhnlichem Zeug füllen wollten? Wein, Bier, Butter? Oder schlimmer, mit Kieseln und Scherben?
Ein Fass mit Sprengpulver in einem großen Fass umgeben von Scherben.
Rungholt erschauderte.
Sie platzieren die Fässer am Rathaus, in St. Marien, an der Stadtmauer. Wo immer sie wollen. Sie ziehen am Seil, vielleicht reicht es sogar, es mit einem Armbrustpfeil abzuschießen … Es spannt sich, die Klappe reißt auf, Feuer lässt das Pulver explodieren, die Scherben und Steine zerreißen alles und jeden.
Bomben. Mein Gott, dachte Rungholt, wenn sie die äußeren Fässer mit Baumharz, Schwefel und etwas Steinsalz füllen und alles explodiert … Ganz Lübeck wird brennen.
Im ersten Impuls wollte Rungholt sofort umdrehen und zu Dartzow rennen, doch er entschied sich dagegen. Wenn er schon hier war, wollte er auch Agnes’ Kammer sehen.
»Passt sehr gut. Wir sollten ihn noch mit Hanf abdichten. Aber ich bin zufrieden.« Meenkens klopfte seinem Gesellen die Schulter. Die beiden widmeten sich abermals dem Deckel und ließen ihn einrasten. »Die anderen werden begeistert sein.«
Sie drehten Rungholt nicht den Rücken zu, und er wagte nicht loszuspurten. Stattdessen wartete er flach atmend und reglos ab. Erst als kurz darauf die Haustür geöffnet wurde und die durchnässte Greteke mit einem Knecht eintrat, sah Rungholt seine Chance gekommen. Während der Geselle dem Knecht mit den Pferden half, die draußen unter der Esche standen, huschte Rungholt zur Treppe. Meenkens sah ihn nicht, denn der hatte seine Frau mit in die Dornse genommen. Seine laute Stimme hallte durch die Diele, und Rungholt konnte hören, dass er sie anschrie, weil sie die Hoftür nicht zugesperrt hatte.
Rungholts Füße tapsten auf den Stufen. Das Holz war abgetreten und kühl. Aus Angst, die Bretter könnten knarren, drückte er sich an die Wand, wagte nicht, in die Stufenmitte zu treten. Seine Mühe war vergebens. Kaum hatte er zwei Drittel der Treppe erklommen, knackte eines der Bretter so laut, dass er erschrocken stehen blieb und wie vom Blitz getroffen in die Diele hinabsah.
»Hast du das gehört?« Meenkens’ Kopf erschien in der Tür der Dornse. Der Böttcher horchte, ließ seinen Blick über die Fässer wandern, über die zuckenden Schatten und zur Haustür.
Noch hatte er Rungholt nicht gesehen.
Du bist hier vollkommen ungeschützt. Ein riesiger Schatten auf einer schmalen Treppe.
Er konnte sehen, wie Meenkens den Kopf schief hielt und angestrengt die vollgestellte Diele absuchte.
Lass ihn nicht hochsehen.
»Was hast du?« Greteke trat zu ihm aus der Dornse.
»Sind das die Ratten? Hast du sie nicht totgeprügelt im Keller? Ich hab dir doch gesagt, du sollst sie …«
»Ich habe Michels gesagt, er soll den Keller leerschaufeln und die Ratten abstechen.«
»Dann hat er es nicht gründlich gemacht!« Meenkens wischte Gretekes
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