Fly Me To The Moon - In seinem Bann 6
eine der Schiebtüren auf. »Jedes Mal, wenn ich in den letzten Wochen hier unten war, musste ich diese Schiebewand herausziehen und es eine Weile betrachten. Ich bin ohnehin ein Fan von Max Ernst, aber dieses ist wie die Essenz seines Schaffens. Die Grattage-Technik ist so unglaublich filigran angewendet und die Farben sind einfach brillant. Es tut den Augen gut. Und der Seele.«
Ian stand direkt hinter mir und jetzt legte er seine Arme um mich und küsste mich sanft auf die Schulter.
»Ja, es ist ein Meisterwerk. Ich habe es letztes Jahr bei einer Auktion in New York erworben, weil ich mich ebenso sehr in dieses Bild verliebt habe wie du. Vielleicht habe ich es deshalb bislang auch noch nicht in den Sammlungsbesitz überführt.«
Ich konnte das sonore Timbre seiner Stimme förmlich spüren und schmiegte mich in seine sanfte Umarmung. Gemeinsam betrachteten wir die surrealistische Waldlandschaft mit ihren stalagmitenhaft aufragenden schroff spitzen Felsen und wuchernden Fantasievegetationen, changierend in satten Nuancen zwischen Smaragdgrün und Saphirblau.
»In jedem Fall ist es zu schade für das Depot«, sagte ich.
»Das ist es in der Tat. Aber an den Außenkanten ist es in einem katastrophalen konservatorischen Zustand. Es wartet hier unten auf seine Restauration, aber vor Herbst nächsten Jahres werden sich die Restauratoren kaum bis zu diesem Werk durchgearbeitet haben. So könnten wir es jedenfalls nicht präsentieren, selbst wenn ich wollte.«
Dann trat ich an den Lichttisch, der uns zur Sichtung einiger graphischer Arbeiten gedient hatte und legte vorsichtig die Leonor-Fini-Lithographien zusammen, die zu einem Mappenwerk mit Illustrationen zur Histoire d’O gehörten.
Es waren feinnervige Tuschezeichnungen, mit schnellem, fast aggressivem Strich von einer begnadeten Künstlerin zu Papier gebracht und mit sehr wässriger Aquarellfarbe in erdiger, oft blutfarbener Palette großflächig koloriert. Aus diesen düsteren erotischen Visionen sprach mehr Aggression, mehr brutale Rohheit als die verklärte Sinnlichkeit, die die meisten männlichen Künstler dieser streitbaren literarischen Vorlage abgerungen hatten.
»Die hast du jetzt schon mindestens dreimal durchgesehen. Dabei dachte ich, es stände längst fest, dass du sie in der Ausstellung haben willst.«
Ian küsste mich in die Halsbeuge und knabberte sanft an meinem Ohrläppchen.
Ich zuckte mit den Schultern und drehte mich zu ihm um. »Ja, sie werden auch auf jeden Fall gezeigt. Es wird sogar einen Katalogtext dazu geben.«
»Warum haderst du dann immer noch mit diesen Graphiken?«
»Ich hadere nicht mit den Graphiken, Ian. Die Lithos sind großartig und sie unterscheiden sich sehr von den übrigen Arbeiten auf Papier, die in dem graphischen Kabinett zu sehen sein werden.«
»Aber dann bist du dir deiner Sache doch ganz sicher.« Er sah mir so tief in die Augen, dass es mir schwerfiel, diesem prüfenden Blick standzuhalten.
Während ich mir den weißen Baumwollhandschuh abstreifte und die aufwendig gestaltete Graphikbox verstaute, sagte ich: »Ich hatte in den letzten Wochen so viel mit Kunstwerken zu tun, die sich auf die eine oder andere Weise mit SM oder Bondage beschäftigen. Obwohl einige davon sehr viel expliziter sind als diese Aquarelle, erscheinen sie mir doch am verstörendsten. Ich frage mich die ganze Zeit, ob sie auch die authentischsten sind.«
Ian hob eine perfekt geschwungene Augenbraue.
»Du fragst dich, ob es das ist, was ich mag?« Seine schöne Stimme klang dünn. »Frauen, die auf dem Boden kauern, die an den Haaren gezogen und mit Ketten gewürgt werden?«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß, dass du kein Sadist bist –.«
»Oh doch, Ann-Sophie«, unterbrach er mich ruhig, aber gleichzeitig waren da ein fast schroffer Unterton und ein gefährliches Blitzen in seinen schillernden Augen. »Ich habe durchaus sadistische Neigungen. Du weißt, dass ich dir gern deinen hübschen Hintern versohle und es würde mir auch gefallen, dich mit anderen Instrumenten bekannt zu machen, als nur mit meinen Handflächen. Ich würde dir zum Beispiel gern zeigen, wie lustvoll, wie erotisch und höchst sinnlich eine Peitsche sein kann. Aber was diese Bilder zeigen, ist etwas vollkommen anderes. Diese O wird erniedrigt, gequält, vernichtet. Das wäre niemals meine Intention.«
Mit diesen Worten hob er mich ohne weitere Umschweife auf den Lichttisch und ich quiekte auf – zum einen, weil die von unten beleuchtete
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