Flying Moon (German Edition)
mir auf einmal eng und stickig vor, kein Ort, an dem ich mich länger aufhalten wollte. Elf Uhr.
Draußen auf dem Gang war es still. Kleine, kalte Nachtlampen beleuchteten den Flur, ein gedämpftes Lachen drang aus einem der Zimmer, es war weit weg. Im Aufenthaltsraum war es dunkel. Die Balkontür stand offen, und der Geruch von frischer Erde und Blüten strömte herein. Die Vorhänge bauschten sich leicht im Abendwind. Eine unwirkliche Stimmung. Ich sah auf die mondbeschienenen Felder. Ein Raum, den ich einatmen konnte. Frühling. Und dann spürte ich es ganz deutlich. Der Kosmos dehnte sich, zog sich auseinander und alles war möglich.
7.
Um sechs Uhr dreißig klopfte Silvia an meine Tür und ich war praktisch tot. Schlaftrunken stand ich auf, schnappte mir mein Handtuch, duschte und ging dann den Text noch einmal durch. Ein lauter Streit mit der Heimleiterin im Aufenthaltsraum, weil ich zu Jack gehen wollte, der auf der anderen Seite des Essraums bei den Jungen saß. Silvia holte mich nach dem Duschen ab und begleitete mich bis zur Garderobe, die in einem anderen Gebäudeflügel untergebracht war.
Ingrid, die Garderobiere hatte mir mein Kostüm für den Drehtag rausgelegt. Ich zog eine billige Jeans und ein rosa T-Shirt an und ging dann mit Silvia nach nebenan in den Maskenraum.
»Ich warte den Moment, dann bring ich dich zum Set!«, sagte sie. »Dort kannst du auch frühstücken.«
Essen? Ich war viel zu aufgeregt. Mein Magen befand sich in einem flirrenden Zustand, den ich vom Theater kannte. Lampenfieber. Nur, dass es schlimmer war.
Dorit, die Maskenbildnerin, war eine stämmige, dunkelhaarige Frau um vierzig. Sie lachte mich gut gelaunt an.
»Was machen wir mit deinen Haaren? Sehen ganz natürlich aus. Hm, ich denke mal, die lassen wir so, oder?«
Das war eigentlich auch immer meine Lösung.
Sie schob die Haare zurück und besah sich mein Gesicht. »Na, da brauchen wir auch nicht viel zu machen, du hast ja eine tolle Haut. Vielleicht die Augenschatten noch ein wenig betonen. Wir wollen ja sehen, dass du länger nicht geschlafen hast.«
Sie tupfte mir erst eine blasse Grundierung auf das Gesicht und dann einen lilafarbenen Lidschatten unter die Augen und betrachtete das Ergebnis zufrieden im Spiegel. Grandios. Ich sah total fertig aus. Silvia grinste nur. Zusammen gingen wir nach unten und über den Hof in das Hauptgebäude. Einige der Heimkinder standen draußen und warteten auf ihren Schulbus. Dabei starrten sie auf die LKWs im Hof, aus denen Scheinwerfer und Stative ausgeladen wurden. Die Tür zum Hauptgebäude stand offen. Leute liefen mit Material hin und her, überall lagen fette Kabel.
Im Speiseraum, wo gedreht wurde, waren mehrere Tische aneinander gestellt und für ein Mittagessen gedeckt worden. Etwa dreißig Jungen saßen an den Tischen, der Rest des Raumes war vollgestellt mit Scheinwerfern, Materialwagen und der Kamera. Silvia schlängelte sich mit mir bis zu Uli durch, der neben der Essenausgabe stand und mit einem anderen Mann diskutierte.
»Hallo, Moon.« Uli lächelte. »Das ist Peter, unserer Kameramann. Ihr kennt euch noch nicht, oder? Er konnte nicht zum Warm Up kommen.«
Wir begrüßten uns.
»Tja, dann«, sagte Silvia und strich mir aufmunternd über den Arm. Ich schluckte. Eigentlich hatte ich gedacht, ich wäre durch das Theater etwas auf die Situation vorbereitet, aber es war anders. Statt Zuschauern gab es Mitspieler. Und wie es aussah, waren das nicht irgendwelche Komparsen, sondern ein Teil der Heimkinder, die sich selber spielten und mir dabei zusahen, wie ich so tat, als ob ich ein Heimkind wäre. Nicht sehr angenehm. Ich war erleichtert, als ich Karl entdeckte.
»Hi, Moon! Wie geht´s?«
»Na ja ...«
»Aufgeregt?«
»Ziemlich.«
»Ich auch.« Karl lachte nervös. Er trug eine ausgeleierte Cordhose und ein giftgrünes T-Shirt.
»Wow, was für ein Style.«
Karl trug normalerweise nur Markenkleider.
Er grinste. »Du siehst auch nicht besser aus, wenig geschlafen, oder?«
»Schon mal was von Maske gehört?«
Uli winkte uns zu sich. »Lasst uns kurz die Szene besprechen. Moon, ich möchte, dass du von der Tür aus herein kommst, dich suchend umblickst und dann auf den Tisch zusteuerst, an dem Karl, also Theo mit Jack, sitzt.«
Er zeigte auf einen leeren Platz am Kopfende des Tisches.
»Silvia? Wo ist Lasse?«, brüllte er quer durch den Raum.
Silvia winkte beruhigend von der Tür, tippte auf eine G-Watch an ihrem Handgelenk und hielt zwei Finger hoch.
Uli
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