Flying Moon (German Edition)
seufzte. »Also, das musst du dir jetzt einfach vorstellen. Du kommst also herein, gehst an den Tischen vorbei und dann fängt dich die Heimleiterin ab. Olga?«
Eine Schauspielerin in einem grauen Kostüm trat näher. Ihre Haare waren streng nach hinten gebunden.
»Olga packt dich am Arm und dann beginnt ihr euren Dialog. Wir machen gleich eine Probe. Zwei Minuten.«
Er schickte Karl zu Denis, der schon an einem der Tische zwischen den Kindern saß. Ich war unschlüssig, ob Uli mir noch etwas sagen wollte oder ich auch schon zur Tür gehen sollte. Fragend sah ich den Kameramann an. Er tippte auf die Kamera.
»Magst du mal durchsehen?«
»Ja, gerne.«
Das Gummi des Sehrohrs saugte sich um mein Auge und sofort war alles andere ausgeblendet und wirkte sortiert. Die Jungs an den Tischen, die Filmleuchten, die aufgebaut waren, die Leute, die am Rand des Sets standen. Ich schwenkte zu Karl und Denis und den Heimkindern, die an den Tischen herumalberten, dann zur Eingangstür, wo Silvia stand und in ein kleines Mikro am Kragen ihrer Fleece-Jacke sprach. Und dann sah ich ihn. Und erkannte ihn sofort. Seine Haare waren kürzer, aber die Haltung, der Blick, all das war mir vertraut. Peter führte meine Hand an einen Hebel.
»Hier kannst du zoomen.«
Er zog sanft an dem Hebel und das Bild flog heran.
Grüne Augen, lange Wimpern, dasselbe leicht spöttische Lächeln.
»Moon?«
Peter tippt mir auf die Schulter.
»Uli möchte anfangen.«
Es war auf einmal sehr still im Raum. Die Jungen an den Tischen hatten aufgehört zu klappern und blickten gespannt zur Tür, wo jetzt ein Junge auf mich zukam. Er kam mir schlanker vor, aber alles andere war unverändert. Der Gang, die Art zu lächeln. Er reichte mir freundlich die Hand und nichts an seinem Blick ließ erkennen, dass er mich erkannte.
»Hallo, ich bin Lasse.«
»Ich bin - Moon.«
Meine Stimme zitterte.
»Du spielst Ida, oder?«
Ich nickte.
»Fertig für eine Probe, Moon?«
Silvia winkte mich zur Tür. Ich ging mit weichen Knien zu ihr.
Okay. Das war Lasse. Endlich hatte ich einen Namen. Und er hatte mich nicht erkannt. So einfach war das. Gut, es war schon eine Weile her. Ich war älter geworden, hatte mich verändert, jede Zelle meines Körpers hatte sich ausgetauscht, Zeit war vergangen, alles war anders. Andererseits hatte ich ihn sofort erkannt. Es gab überhaupt keinen Zweifel, denn ich hatte ständig an ihn gedacht. Das wurde mir jetzt klar. Und er hatte mich offenbar sofort vergessen.
An der Tür blieb ich stehen. David hockte sich vor mich auf den Boden und markierte meine Position mit einem Klebeband. Er sah von unten hoch und lächelte mir zu.
»Alles okay?«, fragte Silvia.
Mir war schlecht.
Uli kam zu mir herüber. »Moon? Was ist los? Du musst in Lasses Richtung sehen! Da willst du hin. Alles okay? Du bist so blass. Schluck Wasser?« Er sah sich suchend um. »Kann mal jemand Moon ein Glas Wasser holen? David?«
David kam schon mit einem vollen Becher Wasser auf mich zu gerannt, stolperte, ich wollte zugreifen, doch der Inhalt schwappte schon in hohem Bogen auf mein T-Shirt. Ein fetter, nasser Fleck breitete sich auf meiner Brust aus. Die ganze Szene war wie in einem Slapstick-Film, der perfekte Gag. Die Anspannung fiel von mir ab und ich musste grinsen. Als ich aufblickte, sah ich Lasse lächeln. Gleicher Humor. Es hatte sich gar nichts verändert. Überhaupt nichts.
Im Kostümraum wurde mein T-Shirt trocken geföhnt.
»Ist gleich fertig«, sagte Ingrid, spreizte das T-Shirt geschickt über ihrer Hand und ließ den heißen Luftstrahl auf und ab gleiten. Ich sah in den Spiegel, ich sah elend aus, nicht nur wegen der Schminke.
Als das T-Shirt trocken war, liefen wir zurück in den Speisesaal. Silvia bedeutete mir mit einem Kopfnicken, dass ich mich wieder auf meine Position stellen sollte. Ich sah zu Lasse, der bei den anderen Jungen saß. Ohne den Blick von ihm zu wenden, lief ich mechanisch bis zur Heimleiterin. Sie packte mich am Arm. Ich fuhr zusammen, sagte meinen Text, hörte zu, schimpfte zurück.
»Und aus! Sehr gut, Moon.« Uli kam zufrieden auf mich zu und nickte anerkennend. »Genauso stelle ich mir das vor. Wir richten das Licht ein.«
»Zehn Minuten für die Technik«, rief Silvia. Sie sah zu mir. »Du hast eine kleine Pause.« Sie zog mich aus dem Raum und hielt mir einen Becher Orangensaft hin. Mein Mund war ausgetrocknet und ich trank gierig. An der Seite im Flur stand ein Tisch auf dem belegte Brote, Obst und Schokolade
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