Flying Moon (German Edition)
starrte überwach an die Decke und dachte an Lasse. Er kannte mich also doch. Warum hatte er nichts gesagt? Ich schob meine Decke weg. Auf einmal fühlte ich mich wieder eingeengt, wie gefangen in diesem Kinderheim, dem Zimmer. Ich musste dringend nach draußen, an die Luft. Leise stand ich auf und zog mich wieder an.
Im Gemeinschaftsraum stand die Balkontür offen. Es roch nach Erde, ich sog den Geruch ein und beruhigte mich. Es war doch alles okay. Was regte ich mich so auf? Ich trat heraus, breitete beide Arme aus und streckte mich Richtung Nachthimmel. Sah den Mond, die Sterne, einen weiten, dunklen Himmel. Es war ein bisschen wie zuhause auf dem Dach. Ein Gefühl, als könnte ich fliegen und müsste nur die Arme ausbreiten und abheben. Am besten mit Musik. Plattenmusik. Dem Rauschen, Knistern und Knacken, das ich an Platten so liebte. Ich lauschte und hörte tatsächlich etwas, ganz nah. Oder eigentlich spürte ich es mehr. Ein Atmen.
»Moon?«
Jemand stieß sich von der Wand ab. Ich fuhr herum.
»Tut mir leid, ich ... wollte dich nicht erschrecken.«
Es war Lasse. Er lächelte. »Hallo.«
»Hallo.«
»Schön dich zu sehen.«
Schön mich zu sehen? Jetzt auf einmal? Ich starrte ihn skeptisch an. Lasse spürte meine Ablehnung und räusperte sich. »Ich wollte mich schon melden, als ich deinen Namen auf der Stabliste gesehen habe.«
»Du kanntest meinen Namen?«
Er nickte. »Ja, aber ... dein Vater hat mir den Kontakt mit dir verboten. Der ist ja damals komplett ausgerastet.«
Auf einmal war alles wieder da. Die Erinnerung, mein Vater und seltsamerweise hatte ich auf einmal den Wunsch, ihn zu verteidigen.
»Er wollte mich nur beschützen!«
»Ja, klar«, sagte Lasse nüchtern, »er sagte, ich könne froh sein, wenn er mich nicht wegen Missbrauchs anzeigt.«
Das hatte ich nicht gewusst.
»Ich war sechzehn. Er hat nur gedroht.«
»Nicht nur. Er hat auch dafür gesorgt, dass Nora mich aus all ihren Filmprojekten wirft.«
Ich schwieg betroffen. Mir wurde klar, dass ich damals eine Menge nicht richtig mitbekommen hatte. Die Trennung meiner Eltern, der Umzug, das alles war schon verwirrend genug gewesen.
»Das habe ich nicht gewusst.«
Lasse lachte leise und irgendwie vertraut. »War ja auch nicht deine Schuld.« Seine Stimme war wieder sanft und entspannt. »Na, jedenfalls hätte ich nicht gedacht, dass dich dein Vater mit mir drehen lässt. Dass er es dir überhaupt erlaubt.«
Ich räusperte ich mich verlegen. »Mein Vater ..., also, er weiß nicht, dass ich hier mitspiele. Ich ... habe keinen Kontakt mehr zu ihm.«
Lasse sah mich erstaunt an. »Du hast gar keinen Kontakt?«
Ohne, dass ich es verhindern konnte schossen mir Tränen in die Augen. Die Art, wie er es sagte. Kein Kontakt. Eigentlich unfassbar.
»He, entschuldige. Ich will es nur verstehen.«
Er schwieg, dann fuhr er sich über das Gesicht.
»Ich habe damals noch mal mit ihm gesprochen.«
»Mit meinem Vater?«
»Ich habe es zumindest versucht.«
»Und?«
Lasse blinzelte unsicher. »Er meinte, du willst nichts mehr von mir wissen.« Er zog vorsichtig die Luft ein. »Stimmt das?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
Er beugt sich zu mir und sah mich an, seine Augen weiteten sich. »Und warum hast du dann heute nichts gesagt?«
Ich zögerte. »Ich habe gedacht ... du erkennst mich nicht wieder.«
Er lächelte. »Moon, ich würde dich immer und überall wieder erkennen.«
Irgendwo unter uns musste ein Blumenbeet sein. Der derbe Geruch der Felder mischte sich mit dem süßen und schweren Geruch von Blüten. Wir standen nebeneinander, lehnten uns auf die Balkonbrüstung und sahen in die Nacht. Hier neben Lasse zu stehen, war wie ein Traum. Ein großer Bildschirm, auf dem ein Erinnerungsfilm ablief. Lasse und ich in Noras Badezimmer. Seine Erinnerung: »Ich habe mich in den Whirlpool gelegt und du hast gedroht, das Wasser aufzudrehen.«
»Hey, das stimmt nicht!«
Meine Erinnerung: »Du hast Noras Schuhe anprobiert!«
»Echt!«
Er grinste. »Ich freue mich jedenfalls, dass ich dich endlich getroffen habe. Es ist nur ... komplizierter, als ich es mir vorgestellt habe.«
Ich sah ihn an. »Gut kompliziert oder schlecht kompliziert?«
Er hob nachdenklich eine Augenbraue.
»Schauspieler!«, stöhnte ich.
Er packte mich, doch ich drehte mich schnell weg und er legte seine Arme von hinten um mich. Sein Mund war nah an meinem Ohr.
»Gut«, flüsterte er. Dann ließ er mich los und lächelte.
»Bis morgen, Moon!«
9.
Ich schlief
Weitere Kostenlose Bücher