Flying Moon (German Edition)
Vergangenen Freitag provozierten zwei Jugendliche einen Brand im geschlossenen Erziehungsheim »Amparo Rodriques«. Im »Amparo Rodriques« herrschen katastrophale Zustände, eine potentiell notwendige Evakuierung wäre schon an den mit Steinblöcken verbauten Notausgängen gescheitert. Ursprünglich für 24 Jugendliche gebaut, sind inzwischen doppelt so viele Minderjährige in dem geschlossenen Heim untergebracht.
»Guck dir das Foto an!«
Er zeigte auf ein Gebäude neben dem Text. Es sah aus wie eine Strafanstalt.
»Das ist ja gruselig!«
Lasse fuhr den Computer runter.
»Wenn du da rein kommst, kannst du nur noch ausflippen!«
»Hast du viel recherchiert für deine Rolle?«
Er griff nach seinem Becher mit einem Rest Kaffee.
»Na ja, ich wollte verstehen, was so läuft in Erziehungsheimen, ob diese Dinge im Film nur behauptet werden.«
Ich merkte, dass er unsicher war, ob das, was er sagte, aufgesetzt klang. Ich fand das nicht. Im Gegenteil. Wenn ich jetzt an das Foto in dem Glamour-Magazin dachte, dann schien es mir überhaupt nichts mit Lasse zu tun zu haben.
»Und?«
»Ist schon ziemlich hart, was es da so für Geschichten gibt. Also, ich habe einen Bericht von einer Frau im Internet gefunden. Sie schildert die Situation in katholischen Heimen nach dem Krieg. Echt krass. Den Kindern hat man morgens Valium gegeben, geschlagen wurden sie sowieso.«
Ich fand das alles vollkommen unglaubwürdig, Valium! Aber es stimmte vermutlich. So etwas sog sich niemand aus den Fingern, das waren nur Dinge, die einfach niemand hören wollte.
»Na ja, aber heute ist schon besser, oder?«
»Ehrlich gesagt glaube ich, dass da heute auch noch eine ganze Menge schräger Dinge passieren. Diese Nachricht aus Spanien ist vom letzten Jahr!«
Wir schwiegen.
»Würdest du weglaufen?«
Lasse sah mich an, überlegte und zuckte mit den Schultern. Mir fiel eine Szene aus dem Drehbuch ein. Immerhin hatte mein Vater es geschrieben und ich wusste, dass er sich bemühte, seine Geschichten gut zu recherchieren.
»Da gibt es doch noch die Szene in der du diesen Typen niederschlägst, weil er mich, also Ida belästigt.«
Es war einer der dramatischen Höhepunkte des Films und ich war aufgeregt, wenn ich nur daran dachte, dass ich sie spielen musste.
»Kannst du dir vorstellen, in solch einem Moment wirklich einen Menschen zu töten?«
Lasse sah mich merkwürdig an und dann in seinen Kaffeebecher. Er nahm ihn auf, erinnerte sich, dass er leer war und stellte ihn wieder ab.
»Weiß nicht. Aber ich erkläre mir das so: dieser Jack ist panisch, wütend, er ist verliebt in Ida, er ist extrem eifersüchtig, er schlägt zu. Er will den anderen nicht wirklich erschlagen!«
»Im Film macht Ida Jack ja sogar noch Vorwürfe.«
Lasse grinste schief. »Ja, Spannung für die Zuschauer! Damit sie sich fragen, ob das Liebespaar zusammen bleibt.«
»Welches Liebespaar?«
Krista ließ sich mit einem Teller Rührei neben mich fallen, sah von mir zu Lasse und lächelte smart.
»Lecker Rührei!«, sagte Karl, kam hinter ihr an den Tisch und piekste sich etwas von ihrem Rührei auf seine Gabel. Ich fand, es ging ziemlich schnell, dass er statt von meinem, von Kristas Teller aß. Ich sah sie fragend an. Sie lächelte unsicher zu Lasse, als würde sie ausgerechnet dort Halt finden.
Etwas später fuhren wir mit dem Produktionsbus in die Umgebung. Es war der erste Tag, an dem nicht im Kinderheim oder im Hof gedreht wurde. Erzählt wurde der erste Tag nach der Flucht. Wir sollten in einem Heuschober einen ersten Unterschlupf finden und dort übernachten. Laut Drehbuch kamen sich Birk und Theo sehr nah. Krista hatte sich Sorgen wegen der Szene gemacht, weil sie dachte, ich wäre mit Karl zusammen. Jetzt aber sah die Sache anders aus. Karl hatte sich in Krista verliebt. Er saß aufgeregt hinten im Bus neben mir und übte seinen Text. Und Krista? Sie saß in der zweiten Reihe des Busses, lachte über Denis Witze und schien absolut unbekümmert.
»Bald ist Bergfest! Seid ihr dabei?«, fragte Krista.
»Was ist ein Bergfest?«
»Feiert man bei der Hälfte der Drehzeit. Wir grillen hinter dem Haus, wo Benno mit seinem Wagen immer steht.«
»Klar!«, sagte Karl und seine Stimme überschlug sich vor Aufregung.
15.
Wir hielten irgendwo draußen auf der Landstraße neben Feldern und einem großen Heuschober, der auf einer Wiese stand. Wie immer erkannte man den Drehort sofort an den vielen Mietautos und Lastwagen, die abgestellt waren. Auch ein Gartenzelt
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