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Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)

Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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oder meinem
Gedächtnis zweifeln. Keinen einzigen Buchstaben habe ich erfunden, ich kann es nachlesen.
Wilma hat es gesagt. Wenn Francis von der Ehrlichkeit seines Vaters überzeugt ist,
sind Wilmas Anschuldigungen entweder falsch, oder sie täuscht sich, oder sie hat
mich getäuscht.
    Bis heute
war ich keine Lauscherin, so wie ich vor zwei Wochen noch kein Spitzel war. So ändert
man sich. Wenn ich als Kind am Kaminschacht lauschte, was im Salon unten besprochen
wurde, war dies eher die Freude an einer technischen Möglichkeit, eben des Lauschens.
Das Erlauschte war bei Weitem nicht so wichtig.
    Nun, man
konnte es überprüfen. Heute erzählte ich Wilma, dass Francis Berry zwar im Haus
seiner Patentante wohnt, dass diese jedoch gar nicht hier in Bern lebt, sondern
in den USA, und dass als Ersatz deren Freundin, eine Psychologin, die auch eine
Freundin von Francis’ Mutter ist, das Haus für zwei Jahre übernommen hat. Diese
sorgt liebevoll für Francis Berry. Meine vielen Abwesenheiten brauchten dringend
eine Erklärung. Also, nebst dem Schnupperkurs im Kanufahren bin ich dieser Psychologin
mehrmals gefolgt. Sie geht regelmäßig mit einem grässlichen rötlichen Pudel spazieren.
Jeden Morgen arbeitet sie in der Universitätsbibliothek.
    Nach dem
Nachtessen verzog ich mich in mein Zimmer, Hausaufgaben. Dann horchte ich an der
Kaminklappe. Wilma erzählte meinem Vater gerade brühwarm von dieser Psychologin.
Vater erklärte, er lasse überprüfen, wer die Frau sei.
    Und dann
sagte Vater ganz deutlich den Satz, der mir kalt werden ließ, kalt vor Angst. »Wenn
wir meinten, die Sache sei damit erledigt, dass Adrian und Maude aus dem Verkehr
gezogen sind, haben wir uns möglicherweise getäuscht. Der Junge könnte uns etwas
vormachen. Was hat er im Stadion verloren, wenn sein Vater eben erst gestorben ist?
Und wie kommt er ausgerechnet an den sensiblen Punkt genau in dem Moment, als die
Schlägerei losgeht? Es darf nicht sein, dass er etwas weiß. Wir müssen ihn weiter
und besser beobachten, sehen, ob er allein handelt. Dass jetzt eine Psychologin
auftaucht, gefällt mir nicht. Sie könnte sein Vertrauen gewinnen.«
     
    *
     
    Ich hasse diese Psychologentussi.
Ich bin ihr nachgegangen. Sie trägt flache Schuhe und geht schnell, zielstrebig,
dann wieder schaut sie in ein Schaufenster oder schlägt einen Haken. Sie fühlt,
dass ich hinter ihr her bin und sucht mich auszumachen. Sie ist sehr wach, auch
wenn sie sich nicht demonstrativ umsieht, ich bin mir sicher, sie nimmt jede Bewegung
um sich herum wahr, jeden Blick. Sie entdeckt mich nicht, denn sie übersieht die
vergammelte Jugendliche, die irgendwo hinter ihr in den Passanten mit den Schatten
der Laubengänge verschwimmt. Ich habe es mir angewöhnt, wenn ich auf Recherche unterwegs
bin, meine schäbigsten Kleider anzuziehen, die ich auf dem Bärenplatz gekauft habe:
zu große Hose, bläulich, die ich mit einem Stoffgurt zusammenhalte, ein Kapuzenhemd
von unbestimmter Farbe, einen dunklen, sehr dünnen Parka und einen uralten ausgebleichten
Tragbeutel. Wilma kennt diesen Aufzug nicht. Den stelle ich jeweils in einer öffentlichen
Toilette her, wobei ich, so gut es geht, schon beim Hereinkommen das Gesicht vor
den Kameras verdeckt halte. Die Haare sind lang und offen, so richtig mit Gel gesträhnt.
Um die Augen verreibe ich etwas von Wilmas Mascara, zusätzlich ganz leicht bläuliche
Schatten. Weil ich so dünn bin, sieht das relativ krank aus. Niemand, der mich kennt,
kann mich erkennen. Einzig meine sauberen Hände könnten mich verraten. Doch da bin
ich pingelig und bringe es nicht über mich, die Fingernägel hässlich zu machen,
abzureißen, an der Kette des Fahrrads herumzufingern, bis sie eben geschwärzt wären.
In diesem Look drückst du dich ganz von allein an den Hauswänden entlang und wenn
du gehst, ist dein Gang unsicher oder wieselnd. Für die Passanten, Leute, die von
einem Punkt A zum Punkt B unterwegs sind, bin ich unsichtbar, als trüge ich eine
Tarnkappe. Nicht aber für echte Randständige. Die mustern mich. Sie könnten das
Unechte erkennen. Ich selbst fühle mich nicht wohl in dieser Aufmache. Innerlich
gefährlich wird es erst, wenn es abgefärbt hat.
    Auch die
Psychologin übersieht mich. Sie trägt schicke Klamotten, wenn man genau hinsieht,
sind sie raffiniert, zum Beispiel die kurze rote Weste ist ein dezentes Stück aus
einer Boutique, viel zu locker für ihr Alter. Und dann der Schnitt ihrer Hose. Sie
zeigt ganz unverfroren alle ihre

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