Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
Warteschlange beim Eingang, vor dem Spiel. Hier war Pamela
mit Francis zu sehen. Tizian schnalzte mit der Zunge: »Gute Aufnahmen, ich könnte
sie dir fürs Familienalbum beschaffen.«
Pamela schüttelte
sich, als hätte sie böse geträumt. Spontan reihte sie die Fragen aneinander: »Wo
sind denn diese zwei Typen geblieben? Wenn sie auf keinem Band der Ausgänge zu sehen
sind, wie konnten sie verschwinden? Doch was ist denn dort geschehen. Wieso rasten
die alle gleichzeitig aus? Ich bin im Stadion gewesen. Die Sicherheitsvorkehrungen
waren enorm. Es waren doch alle Maßnahmen perfekt. Ganz anormal ist der Vorgang
des Ausbruchs von Gewalt. Vorher, die Panik, da bewegte man sich noch im Rahmen
des Bekannten. Was nicht erklärt, wieso eine Fangruppe in der Pause in ein geschlossenes
Treppenhaus geraten konnte? Das war das eine. Doch danach handelt es sich doch um
ein Phänomen, das war ein unerklärlicher Massenwutausbruch. Wo gibt es denn so etwas?«
Tizian wählte
eine Nummer, fragte in einem recht schneidenden Ton: »Weiß man jetzt, wer alles
einen Sicherheitsschlüssel C zu jenem Treppenhaus hatte?« Mit einer wegwerfenden
Kopfbewegung legte er wieder auf. Er ärgerte sich: »Da wird noch immer abgeklärt.
Es sind schon jetzt mehr Schlüssel unterwegs als ausgegeben wurden.« Dann führte
er weiter aus: »In der Kommandozentrale des Stadions sah man die Fehlleitung der
St. Galler Fans zu diesem Treppenhaus. Die Verantwortlichen sahen live auf ihren
Monitoren die überraschende Bewaffnung mit den Stöcken. Sie ordneten sofort Verstärkung
an, doch die Mannschaft konnte nicht eingreifen, weil das Treppenhaus der Zugangsweg
gewesen wäre. Da war kein zusätzlicher Druck zu verantworten. Sie mussten dem schlagartigen
Umkippen in die Gewalt hilflos zusehen.« Schockiert hörte Pamela zu. Tizian redete
resigniert weiter: »Später und an anderer Stelle gelang es, die Knäuel zu kanalisieren
und noch später kontrolliert aufzulösen. Es ist den Ordnungskräften immerhin gelungen,
die Fans wieder getrennt vom Stadion wegzubringen.« Tizian wartete. Pamela überlegte.
Da war etwas.
Sie hatte
beim Zuschauen eine grundlose kalte Angst, genau beim Ausbruch der Gewalt. Die Gesichtszüge
auf dem Videoband, die sich verzerrten, aufgerissene Augen, hier ein Zittern, da
ein Beben über das ganze Gesicht. Tizian drückte rückwärts. Sie schauten es sich
noch einmal an, da war es: »Schau, wie sich die Gesichter alle fast von einer Sekunde
zur anderen verändern, zuerst wie gelähmt, dann alarmiert, verängstigt, verstört.
Nach zehn Sekunden hat es sie alle erfasst. Jetzt beginnen sie zu drängen, jetzt
entsteht die Panik. Doch diesmal, und das ist der Unterschied, kommt die zusätzliche
Gewalt von außen. Da gibt es kein Entkommen.« Tizian stimmte zu, bestätigend, doch
ohne Kommentar.
Pamela ließ
nicht locker: »Wenn du für Sicherheitsbelange in großem Stil zuständig bist, dann
weißt du, wie Massen durch Zerstäubung von Psychodrogen beeinflusst werden können.«
Tizian beugte sich vor: »Wie kommst du jetzt darauf? Sag nicht, das gehöre neuerdings
zu deinen Spezialgebieten. Was weißt du?«
»Meinst
du das rhetorisch? Du weißt genau, ich bin der Prototyp eines Produkts der 68er,
da ist man informiert. Und das hört nie auf. Die verschwörungstheoretischen Ansätze
werden täglich aktualisiert, Internet macht’s möglich. Außerdem kennst du ja Alice.
Die ganz bedrohlichen Neuigkeiten teilt sie mir jeweils mit. Doch du brauchst hier
nicht nachzuhaken, im Augenblick ist sie auf Expedition am Yukon.«
Tizian spöttelte.
»Moment einmal. Und dann, was erhofft sich deine Mutter davon, was sollst du mit
diesem Wissen denn tun?« Pamela überlegte, »Einerseits: nicht in eine Falle laufen,
auf der Hut sein, wissen, Orwell ist real längst Schnee von gestern. Andererseits:
Du weißt, nein, du weißt nicht, Alice hat ihre Weltsicht natürlich weiterentwickelt.
Es gibt nicht nur die Kraft der Gedanken des Einzelnen. Alle Menschen mit spirituellen
Gedanken sind Teil eines morphogenetischen Feldes. Dieses Feld wächst und verstärkt
sich mit jedem Gedanken. Dieses Feld lässt sich gerichtet gegen derartige Bedrohungen
aufstellen. Ich stelle mir ihre Erklärungen so vor, dass diesen negativen Kräften
die Luft ausgeht, dass sie verblassen, sich auflösen.«
»So ein
Stuss, entschuldige. Das glauben deine Eltern wirklich? Was geschieht, wenn sie
merken, dass es nicht so weit her ist mit den Gedankenkräften, greifen sie
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