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Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)

Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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umarmte
sie fest zur Begrüßung, sein Gesicht glänzte, über einem hellgrauen Shirt trug er
eine dünne Jacke ohne Kragen mit dezent altmodischen Knöpfen, das sah stilvoll aus.
Es war trotzdem ein Rocker Outfit. Warum wollte sie immer einordnen? Die Menschen
ließen sich doch nicht so leicht in Schubladen stecken. War Kleidung und Äußeres
denn heute noch ein Orientierungsmerkmal?
    Sie ließ
sich überhaupt nicht anmerken, wie sehr es sie irritierte: Die meisten hier drin
waren Rocker mit großzügigen Tätowierungen an Nacken, Hals oder bloßen Oberarmen
und Ringlein meist in den Ohren, Nasen oder über den Augenbrauen. Breite Ringe an
den Händen und irgendwo eine schwere Kette schienen ein Muss zu sein. Die Frauen
waren zwei Typen zuzuordnen, den dunklen, schwarz geschminkten, Pamelas Schubladendenken
tippte hier auf Gothics, und denen, die sich an die alten Hippies annähern mochten,
eher ins Erdfarbene, ins Weibliche tendierend. Diese waren auch mit Tüchern ausgestattet
und mit buntem Fantasieschmuck, indianisch eben, hier in der Berner Matte ein bewusstes
Anknüpfen an Zigeunertradition.
    Pamela verwünschte
ihren analytischen Verstand, der rasterte und rasterte, schon spuckte er weitere
Worte: Absinth und Künstlerkolonie, Spielberg und Hippie-Rock-Kultur, also ein Rocker-Absinth-Stübli.
    Sie war
verbildet. Wenn sie ein Wort fand für etwas Unbekanntes, dann hatte sie das Gefühl,
daheim zu sein.
    »Du kommst
etwas spät, aber du kommst, ich freue mich!« Gary dröhnte es direkt neben ihrem
Ohr. »Komm, du musst etwas zu trinken haben und ein paar Kumpels kennenlernen.«
Er nahm sie oben herum um die Schulter, führte sie so vorwärts, sein Arm umschlang
sie wie ein Elefantenrüssel.
    »Ich hatte
gehofft, dass du kommst, ich habe dich schon vor einer Woche erwartet, aber jetzt
bist du ja da. Ich habe dich hie und da aus der Entfernung gesehen und wusste, dass
du nicht krank bist. Du scheinst ja jetzt von allen Seiten bewacht zu werden, weißt
du das?« Er wartete keine Antwort ab.
    Sie waren
hinter der Theke angelangt. »Hier«, er hob sie einfach hoch und setzte sie auf einen
weiteren Hocker. »Was trinkst du, magst du Absinth?«
    Also doch,
hatte sie es nicht gleich vermutet! Absinth war wieder gestattet, doch war dieser
Schnaps nicht mit gutem Grund verboten worden? Da hatten doch die damaligen Frauenvereine
Druck gemacht, weil er in relativ kurzer Zeit das Gehirn zerstörte, weil die Besoffenen
dann echt Amok liefen. Natürlich, das wusste sie von Alice. Aber sie wusste nicht
einmal, wie er schmeckte.
    Gary zelebrierte
diesen Absinth: Er füllte ein Glas mit einem silbernen langstieligen Löffel darin
mit heißem Wasser, darüber legte er ein silbernes Sieb mit einem extragroßen Stück
Würfelzucker, langsam kippte er ein Gläschen Absinth über den Zucker. Das Wasser
verschleierte, trübte, der Dampf verfärbte sich gelblich, es roch wunderbar nach
Anis, nach Fenchel, nach Kiefer. Pamela sog den Duft überrascht und entzückt ein,
das war es, das machte den Zauber dieses Getränks aus.
    »Du schaust
schon richtig süchtig«, Gary lachte laut, andere wandten sich ihnen zu. »Das ist
die Pamela, die mit dem Steinbrocken.« Jetzt war Interesse da, offensichtlich war
es ehrenvoll, hier unten von einem Berner Riesenstein fast getroffen zu werden.
Sie lächelte etwas gequält, nippte an ihrem Getränk, Gary korrigierte, »zuerst musst
du etwas rühren«, und auf ihren erstaunten Blick bestätigte er, »Frauen mögen es
süß, kannst noch einen Zucker hineinrühren, wenn du willst.« Sie rührte gehorsam,
es war wirklich nicht ganz so gut gewesen wie der Duft. Dann, mit dem zweiten Zucker,
war es schon besser, Aniszuckerwasser. Man prostete ihr zu, sie prostete zurück.
    »Kannst
noch einen haben, bist heute mein Gast, Fée verte gibt’s nicht jeden Abend, nur
am Dienstag.« Die Menschen um sie lachten, plauderten in rauem Ton, Männer und ein
paar Frauen, sie war eine von ihnen.
    Und dann
geschah unerwartet das Wunder. Der Raum schien abzuheben in einem zauberhaft blauen
Licht, sie meinte, endlich die tiefere Dimension der Realität zu sehen, die Gesichter
strahlten psychedelisch, waren vielfach in Raum und Zeit, wie sie immer gedacht
hatte, dass sie wären, nur ein Abglanz ist sichtbar und jetzt da, sie sah, wer sie
wirklich waren und liebte sie, weil sie Menschen waren wie sie selbst. Fée verte,
die grüne Zauberin, so hieß dieser Schnaps von alters her, l’heure bleue hatte man
früher zu dieser

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