Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
seinem Gesicht. Verspottete er sie? Er lächelte sie an, legte seine
Hand auf ihre auf dem Tisch liegende Hand, schluckte, sagte mit einer weichen Stimme,
langsam und im bernischen Singsang: »Ich werde dich nie verspotten, ich bewundere
dich. Lass mich überlegen.« Die Stimme war eine Liebeserklärung. Später.
Wenn das
alles auch für Gary etwas viel sein musste, zeigte er doch kein Erschrecken, keine
Besorgnis. Im Gegenteil, es mochte seinem Selbstverständnis entgegenkommen. Er war
ein Kämpfer, war für die harte Wirklichkeit gut gerüstet, war, wenn es sein musste,
ein Schläger, früher nannte man das Ritter, und sie kämpften für ihre Angebetete
und zogen in die Schlacht, wenn es sein musste.
Das war
das Praktische daran, einen Rocker zu kennen.
Abrupt brachte
Gary sie in ihre wirkliche Welt zurück: »Wenn die kleine Kalla das wörtlich so gehört
hat, wenn sie den Berry liebt und deshalb alles für ihn tut, dann stimmt es, dann
sieht es böse für ihn aus, er muss sofort verschwinden.« Er sah auf die Uhr: »Es
muss Freitag sein, übermorgen, am Samstag habe ich zu tun. Neue Papiere, das dauert
zwei Tage, und ich brauche ein Passfoto. Ich hoffe nur, er hat noch keinen digitalisierten
Pass. Aber wir hätten ja gerade jetzt die Möglichkeit mit der Nase.« Wenn man wusste,
dass jemand hinter ihm her war, konnte es gerade so gut aussehen, als wäre er erwischt
worden.
Das Problem
wäre, sie hätten dann keine Leiche und konnten auch keine fremde Leiche unterjubeln.
Jede Leiche wurde mit DNS identifiziert. Gary hatte keine Organisation, die Daten
der Gerichtsmedizin fälschen konnte, jeder Versuch wäre schon ein Hinweis, dass
es eben nicht stimmte.
Es war komplex,
aber nicht unlösbar. Etwas nahm Gestalt an, planmäßig. Es ging um Francis und Maude.
Auf wen konnten sie zählen, und wie konnten sie eingesetzt werden? Spontan nannte
Pamela: Lucius, Josy, Tizian, sich selbst, Gary. Francis war in zwei Tagen wieder
fit.
Pamela übernahm
es, Lucius und Tizian das Nötige mitzuteilen, heute Nachmittag noch. Natürlich war
das bei Tizian ein Risiko, doch sie mussten einen detaillierten Plan fassen. Zumindest
hatte Pamela bei ihrem letzten Klinikbesuch sozusagen Erkundigungsarbeit geleistet.
Wie stand sie eigentlich zu Tizian? Gary hatte kopfschüttelnd den Eindruck, da müsse
sehr viel Sympathie dabei sein, wenn sie auf den zähle. Nein, natürlich nicht mehr,
Tizian war ja verheiratet, hatte Familie. Dann schluckte Gary, als er von Robert
und seinen Möglichkeiten hörte. Die erste Frage war sehr direkt: Ging Pamela zu
ihm zurück? Sie blockte ab, das war jetzt kein Diskussionspunkt. Schon war Kalifornien
eine Option. Wenn sie Robert bäte, absolut diskret die Formalitäten für Maudes Überführung
nach Kalifornien vorzubereiten, würde er es für sie tun, sie wusste, er schaffte
dies mit zwei, drei Telefonanrufen, es würde ihm Spaß machen, dies durchzuspielen,
ihr zuliebe. Wenn sie zudem Tizian klug informierte, so vorsichtig, dass er nicht
in ein behördliches Dilemma geriete, dann könnte er hier in Bern die Tür öffnen,
hinter der Maude in Sicherheit wäre: die USA-Botschaft.
Wieder schüttelte
Gary den Kopf. »Warum kannst du das? So rasch so fixe Punkte setzen?« Pamela zog
die Schultern hoch. Sie wusste es nicht, das war sie; friedfertig zwar, aber eine
rasche Fechterin. Jetzt nutzte sie es.
Heute Abend
würden sie sich hier treffen. Nein, Tizian wäre hier fehl am Platz.
Doch als
sie dachte, es geht nur mit Vertrauen, stockte ihr kurz der Atem, da war das kurze
Aufflackern eines Gedankens: Jedes Mal, wenn einer von Vertrauen redete, hatte sie
allen Grund gehabt, es nicht zu haben.
*
Da Lucius’ Handy noch immer nicht
in Betrieb war, lief sie den Bubenbergrain hoch nach Hause. Lucius war da, Francis
schlief noch. In aller Kürze erklärte sie die Notlage. Josy hatte bestätigt, dass
hinter diesen riesigen Stadionbauten etwas ganz anderes steckte. Deshalb würden
die Erbauer jedes Risiko aus dem Weg räumen. Nur wenn etwas vorher verschwand, konnte
es nicht mehr weggeräumt werden.
Wenn es
um Francis’ Nase ging, musste man vielleicht eine krumme Nase gegen sein Leben abwägen.
Gary wüsste vielleicht einen Arzt, dem man vertrauen könnte. Lucius kannte Gary
nicht. Sie mussten auf Gary bauen. Er würde ihn heute Abend kennen lernen.
*
Pamela rief Tizian von der Telefonzelle
in der nahen Post auf seine private Büronummer an. Sie ging davon aus, dass sowohl
dieser
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