Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
du nach Hause, wo du unbemerkt dieses Babyfon ausschaltest. Was auch immer
du dazu an Technik hast, das allerkleinste Teilchen, zerkleinerst du und entsorgst
es, am besten in die Toilette. Du sagst, dass du heute Abend Lucius treffen kannst
für ein Interview zu deiner Schularbeit. Du kommst ungesehen von der Rückseite her
in Garys Werkstatt. Wir brauchen dich dringend, Lucius sagt, du seist außerordentlich
gut mit dem PC. Man wird dich fragen, ob du Francis gesehen hast. Du hast nicht.
Du musst dich darauf einstellen, dass er für immer verschwinden wird.« Josy verstand
auf Anhieb Pamelas Logik: »Aber er weiß gar nicht, dass ich ihn liebe, immer lieben
werde.« Pamela biss sich auf die Lippen, es war hart, es zu sagen: »Wenn es so ist,
wie du sagst, und wenn ich das mit dem zusammenbringe, das ich weiß, dann nützt
kein Polizeischutz. Ich werde das noch genau erfragen. Er wird alles hinter sich
lassen müssen. Je weniger er von dir weiß, desto leichter wird es für ihn werden,
das willst du doch. Du darfst am allerwenigsten wissen, dass er noch lebt, auch
nicht wie oder wo, denn deine Spur könnte zu ihm führen. Denk nicht, dass jene,
die ihn suchen werden, nicht warten können.«
Dann war Josy weg, Pamela bestellte
einen doppelten Espresso, so viel Zeit musste sie jetzt einfach haben. Wie würde
sie handeln, wäre sie eine Indianerin? Wie ging diese Filmgeschichte mit dem Jaguar
und dem Karotten fressenden Kaninchen? Sie gehörten zusammen. Das Kaninchen knabberte
eine Karotte, um seine Gelassenheit zu demonstrieren. Es war stärker, und warum?
Weil es wusste, dass es klüger war.
Vielleicht
war es gar nicht klüger, mit Sicherheit nicht. Doch es glaubte daran, und das war
seine einzige Chance, nicht vor Angst gleich tot umzufallen. Wie ging es weiter?
Pamela nahm einen kleinen Schluck. Es war diese Sicherheit, die den Jaguar abgehalten
hatte zuzuschlagen. Er meinte, das Kaninchen trage die Erfahrung in den Genen, es
könne nicht gefressen werden. In seinen Jaguar Genen war die Erfahrung, dass, wer
immer diese Nicht-Gefressen-werden-Sicherheit ausstrahlte, giftig oder ein Stinktier
war oder einen tödlichen Stachel besaß, etwas, das für ihn absolut nicht bekömmlich
wäre. Weil das Kaninchen von seiner Intelligenz überzeugt war, funktioniert diese
auch unter höchstem Stress.
Verkürzt
hieße das, weil sie, Pamela, intelligent war, brauchte sie sich nicht zu fürchten.
So ein Blödsinn, ihre Gegner kannte sie nicht, diese aber beobachteten sie. Ganz
sicher überwachten sie ihr Handy, das Telefon, den PC. Josys Vater galt nicht als
Mafioso und nicht als Gangster, oder war sie auch in diesem Punkt naiv, und alle
wussten es und konnten damit leben. Auf jeden Fall hatte er jemandem den Auftrag
gegeben, einen, der ihm zu nahe kam, erst zu bearbeiten und dann auszuschalten.
Wähnte sich dieser Kalla in einem Krieg? Im Krieg mit wem? Jeder Gangster hatte
ein Weltbild, in dem seine Verbrechen zum Wohl seiner Gruppe nötig und von da her
richtig waren. Jeder Gangster wähnte sich im Krieg und handelte aus purer Notwehr.
Das waren die Regeln seiner Welt. Pamela wusste, mit diesem Denken versuchte sie
bloß, den nächsten, zwingenden Schritt etwas zu verzögern. Sie nahm den letzten
Schluck. Nein, sie lächelte nicht. Francis war für diese Leute ein Hindernis, ein
Sandkorn im Getriebe.
Es war ein
Wettlauf. Kalla hatte ihn klar vorgegeben.
*
Wo immer sie ging, sie konnte nicht
wissen, wer sich in ihrer nächsten Nähe gerade heimlich mit jemandem traf, sich
oder einen anderen verschacherte, verriet, Vernichtung plante oder einfach nur in
Kauf nahm. Das konnte in der Migros sein oder in einer Bar, in einem Rockkonzert
oder bei einer Theaterprobe, in der Ecke einer Buchhandlung oder hinter den gepolsterten
Türen einer Bank, eher nicht in den Wandelhallen des Parlaments.
Sie allein war zu schwach. Wie sollte
jemand spurlos verschwinden und ausgerechnet bei Emily in Kalifornien oder bei Alice
in Homer wieder auftauchen? Wie sollte jemand ohne falsche Papiere und ohne Zugriff
auf ein Konto sich überhaupt bewegen können?
Im Grunde
genommen war da nichts zu überlegen. Es gab nur einen, der vielleicht unter Umständen
heute und hier helfen konnte: Gary.
Also knabberte
sie jetzt einmal genüsslich an ihrer Karotte, rief Lucius an. Die übliche dumme
Frage: Wo bist du gerade? Er war beim Friseur? Nun, sie hatte heute Cooper erst
kurz ausgeführt. Wenn er sich Coopers annehmen könnte, ja, jetzt
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