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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Hübl
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geblieben.
    In der modernen Wahrheitstheorie geht es daher zuallererst um die Adjektive «wahr» und «falsch». Rosen können rot, Zahlen gerade sein. Doch welche Dinge haben die Eigenschaft oder den Wert «wahr» oder «falsch»? Wer so fragt, sucht nach
Wahrheitswertträgern
. Rosen und Zahlen gehören nicht dazu. Und selbst wenn wir manchmal von «wahrer Liebe» oder «wahrer Freundschaft» sprechen, meinen wir etwas anderes, nämlich «wahrhaftige Liebe» oder «echte Freundschaft».
    In der Philosophie sind die Wahrheitswertträger prosaischer. Zur Auswahl stehen: Äußerungen, Behauptungen, Überzeugungen, Gedanken, Sätze, Theorien. Von allen sagen wir manchmal, dass sie wahr oder falsch sind. Allen ist gemeinsam, dass sie eine
Proposition
ausdrücken. Der Ausdruck «Proposition» ist etwas sperrig, meint aber nur: das mit einem Satz Gesagte, den Gehalt einer Äußerung oder einer Überzeugung.
    Äußerungen gehören immer zu einer einzelnen natürlichen Sprache. Der verrückte Hutmacher sagt im Wunderland zu Alice: «Your hair wants cutting.» Dieser Satz ist bedeutungslos im Deutschen, so wie «Du musst zum Friseur» kein Satz des Englischen ist. Dennoch haben beide Sätze denselben Inhalt.
    Viel spricht dafür, nicht konkrete Äußerungen, sondern deren Inhalt, die Propositionen, als die eigentlichen Wahrheitswertträger anzusehen. Manchmal lassen sich mit einer Äußerungen gleich mehrere Inhalte ausdrücken: «Die Noten liegen auf der Bank» kann unter anderem heißen: «Die Musiknoten liegen auf der Parkbank», und: «Die Geldscheine liegen im Schließfach.» Erst wenn man weiß, was gemeint ist, kann man sich überhaupt fragen, ob das Gesagte wahr ist. Doch worin besteht die Wahrheit nun genau?

Die Realität der Wahrheit
    Wann ist der Satz «Die Sonne scheint» wahr? Wenn die Sonne scheint, sonst ist er falsch. Diese Antwort ist so offensichtlich, dass man meinen könnte, sie sei nicht ganz ernst gemeint. Tatsächlich trifft sie aber den Kern der ersten einflussreichen Wahrheitsdefinition in der Philosophie. Die stammt von Aristoteles und lautet verkürzt so: Von Seiendem zu sagen, dass es ist, ist wahr, und von Nicht-Seiendem zu sagen, dass es ist, ist falsch. Man kann diese Definition auch so interpretieren: Ob etwas wahr ist, hängt davon ab, wie es sich in der Welt verhält.
    Aristoteles’ Vorschlag hat der mittelalterliche Philosoph Thomas von Aquin aufgegriffen und umformuliert: Wahrheit sei die Übereinstimmung von «intellectus», also Verstand oder Denken, mit den Dingen. Kant hat das später so ausgedrückt: Wahrheit liege in der «Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand», wobei das alte Wort «Erkenntnis» hier so viel heißt wie «Urteil» oder «Überzeugung». Die Grundidee ist ganz einfach: Wie beispielsweise Fotos Ausschnitte der Welt widerspiegeln, so würden auch unsere Worte und Gedanken Ausschnitte der Welt darstellen. Der Satz «Die Sonne scheint» ist demnach wahr, wenn er eine Situation abbildet, in der, technisch gesprochen, eine Sonne existiert und deren Strahlen ungehindert auf die Erde treffen. Weil diese Auffassung die Übereinstimmung betont, heißt sie
Korrespondenztheorie der Wahrheit
.
    Die Korrespondenztheorie stieß schnell auf Widerspruch. Zum einen kann der Begriff der Übereinstimmung den Begriff der Wahrheit nicht erläutern, denn so, wie man sagen kann: «Eine Aussage ist wahr, wenn sie mit den Tatsachen übereinstimmt», kann man auch sagen: «Eine Aussage stimmt mit den Tatsachen überein, wenn sie wahr ist.» Der Begriff der Übereinstimmung ist also nicht grundlegender oder klarer als der Begriff der Wahrheit. Darauf hat Gottlob Frege, der Begründer der modernen Logik, schon Ende des 19 . Jahrhunderts aufmerksam gemacht. Zum anderen eignet sich die «Übereinstimmung» auch nicht als Wahrheitstest: Ich kann herausfinden, ob die Sonne scheint, indem ich aus dem Fenster schaue. Aber wie könnte ich jemals
zusätzlich
herausfinden, ob meine so gewonnene Überzeugung mit der Welt übereinstimmt? Ich kann mich ja nicht neben die Wirklichkeit und meine Überzeugung stellen und beide vergleichen.
    Die Korrespondenztheorie hält eine Proposition unabhängig von uns Menschen für wahr oder falsch. Solche Ansätze gehören zur Gruppe der
realistischen Wahrheitstheorien
. Die Korrespondenztheorie kann, wie gesagt, nicht erklären, worin Wahrheit besteht. Anstatt an diesem Makel zu feilen, haben die meisten Kritiker jedoch den Realismus angegriffen, also

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