FOOD CRASH
erfüllen hat, der für den europäischen Markt zertifizierte Ökolebensmittel herstellen möchte. Eine solche verbindliche Beschreibung ist unerlässlich, damit Kunden sich darauf verlassen können, dass das von ihnen erworbene Bioprodukt dem entspricht, was er sich davon erwartet. Nur so funktioniert ein Markt, auf dem Verbraucher bereit sind, für die Einhaltung höherer Anforderungen höhere Preise zu zahlen. Die Bedingungen auf anderen Märkten – und noch viel mehr in anderen Erzeugungsregionen der Erde – unterscheiden sich jedoch zum Teil sehr stark von denen Europas. Deshalb geht es im Folgenden um das grundsätzliche Konzept einer ökologischen Landwirtschaft – und nicht um einen Zertifizierungsstandard.
Das zweite Missverständnis, dem hier vorgebeugt werden muss, ist eines, das mir schon begegnet ist, als ich meinen eigenen Betrieb auf die ökologische Wirtschaftsweise umgestellt habe. Zwar hatte mein Vater auf vorbildliche Weise darauf verzichtet, mir in meine Betriebsführung hineinzureden, sobald er mir den Betrieb übergeben hatte – aber jetzt konnte er sich eine Bemerkung doch nicht verkneifen: Wieso ich das wieder beginnen würde, was man doch glücklich hinter sich gelassen habe – womit er die Zeit meinte, in der es nicht ausreichend Düngemittel gab, in der das Unkraut noch mit der Hacke in der Hand hatte bewältigt werden müssen und in der die Hektarerträge auf einem Drittel des heutigen Niveaus lagen. Nein, all das meine ich nicht, wenn ich von ökologischer Landwirtschaft spreche. Es geht weder um die Rückkehr in vorindustrielle Zeiten. Noch geht es um eine Landwirtschaft, die eigentlich das Gleiche tut wie die konventionelle, nur dass eben auf Chemikalien »verzichtet« wird. Und in den Ländern des Südens geht es nicht um eine Landwirtschaft, die sozusagen zwangsweise ökologisch ist, weil das Geld fehlt, Spritz- und Düngemittel zu kaufen (»organic by deficiency« – ökologisch aus Mangel).
Gemeint ist eine innovative, gemeinsam von Wissenschaftlern, Bäuerinnen und Bauern fortentwickelte Landnutzungsform, die natürliche Regelmechanismen und die vorhandenen natürlichen Ressourcen geschickt nutzt, um in hoher Arbeitseffizienz stabile und möglichst hohe Erträge zu erwirtschaften. Und die deshalb mit einem Minimum an Betriebsmitteln auskommt, die von außen hinzugekauft werden müssen, und die ohne den Einsatz naturfremder Stoffe und Organismen arbeiten kann.
Es gibt einen Begriff, dessen Ursprung ich zwar nicht feststellen konnte, den ich aber für sehr geeignet halte, diese beiden Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Er heißt
Ökologische Intensivierung.
Markus Arbenz, Geschäftsführer des Weltdachverbandes der Ökolandbaubewegungen IFOAM [94] , liefert dafür in einem Papier seiner Organisation folgende Beschreibung: »Wir brauchen einen Paradigmenwechsel – zu einer neuen Strategie, die auf Produktionssysteme baut, die sich die Armen leisten können. Sie nutzen auf intelligente Weise die Vielfalt der Natur und die Lösungen, die sie bietet. Sie berücksichtigt die Verschiedenheit der Kulturen und nutzt deren Kenntnisse und praktischen Erfahrungen als Hebel.« [95]
Es ist wichtig, an dieser Stelle noch einmal zwei fundamentale Zahlen zu nennen und dadurch daran zu erinnern, um welche Frage es geht. Erstens: Wir sprechen über den Skandal, dass eine Milliarde Menschen zu wenig zu essen haben. Zwei Drittel dieser Menschen leben auf dem Land. Und zweitens: 70 % aller weltweit produzierten Lebensmittel werden nach wie vor von Kleinbauern erzeugt.
Wenn wir uns deshalb über die Zielsetzung einer
Ökologischen Intensivierung
Gedanken machen, dann müssen wir insbesondere diese Menschen im Blick haben. Frauen und Männer, die auf kleiner und kleinster Fläche versuchen, ihre eigene Existenz zu sichern. Und die es schaffen müssen, neben einer durch das ganze Jahr hindurch funktionierenden Selbstversorgung, Märkte zu beliefern. Das müssen sie, um sich durch Zukauf von Gegenständen des täglichen Bedarfes, Mobilität und Bildung einen zufriedenstellenden Lebensunterhalt zu ermöglichen. Sie müssen es, um Reserven anzulegen, mit denen sie Notsituationen durchstehen können. Und sie müssen es, weil auch die Menschen zu essen brauchen, die nicht an der landwirtschaftlichen Produktion teilnehmen.
Wenn wir uns in diesem Kapitel Beispiele dafür ansehen, wie
Ökologische Intensivierung
ihre praktische Umsetzung erfährt und welche Resultate sie zeitigt, dann
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