FOOD CRASH
Wertschöpfung im Export erzielen zu können.
Seit all das in 1985 auf die organisatorischen Grundlagen einer Nichtregierungsorganisation mit dem Namen
Organization for the Rehabilitation of the Environment,
ORE [97] , gestellt worden ist, wurden noch viele andere Aktivitäten zusammen mit den Bauern begonnen, die alle zwei Ziele verfolgten: die wirtschaftliche und gesundheitliche Situation der Menschen zu verbessern und ihre ökologischen Grundlagen rentabel zu machen.
Schon bald war der haitianische Agronom Eliassaint Magloire zu den beiden Autodidakten Sean und Mousson gestoßen, und mit der Hilfe mühsam und in immer neuen Anläufen eingeworbener Finanzierungen gelang es, die Versorgung der Bauern mit hochwertigem Saatgut zu verbessern. Im Gegensatz zu anderen Ländern mit langer agrarkultureller Tradition gab es in Haiti kaum Ansätze, gezielt Saatgut zu verbessern und untereinander auszutauschen. Stattdessen wurde das gekauft, was auf dem Markt als Speiseware angeboten wurde, und ausgesät. ORE machte sich nun mit den Bauern daran, für die wichtigsten Grundnahrungsmittel Mais, Bohnen und Hirse Sorten zu entwickeln, die an die Bedingungen der Region angepasst sind, stabilere Erträge bringen und mit einem höheren Anteil an gesundheitsförderlichen Inhaltsstoffen ausgestattet sind. Dazu gehört eine Maissorte, die erheblich höhere Proteinwerte aufweist als normale Sorten. Sie wurde vor Ort auf der Grundlage von Zuchtlinien entwickelt, die aus dem in Mexiko gelegenen Maisforschungszentrum CIMMYT stammen.
Schon in den Anfängen der Arbeit von ORE wurde klar, dass die isolierte Vermittlung von Fähigkeiten wie der Obstbaumveredelung oder die Verteilung von verbessertem Saatgut nicht ausreichen würden, um die Situation der bäuerlichen Familien nachhaltig zu stabilisieren. Es ging deshalb schon sehr bald darum, Beratung zu organisieren und den Menschen zu helfen, ein System landwirtschaftlicher Nutzung zu etablieren, das eine durchgehende Selbstversorgung, dauerhaftes Bareinkommen, das Ende der Erosion und den Aufbau der Bodenfruchtbarkeit ermöglicht.
Ein solches System wird parallel dazu, allerdings auch im Austausch mit den Fachleuten von ORE , von verschiedenen Initiativen seit Mitte der 90er Jahre entwickelt.
Agroécologie
heißt der Begriff, unter dem die verschiedenen Initiativen eine Landwirtschaft definieren, und der sich mit dem oben eingeführten Konzept einer »Ökologischen Intensivierung« deckt.
Einer der Vordenker und Vorarbeiter dieses Konzeptes ist
Philippe Teller.
Den belgischen Entwicklungshelfer haben wir während unseres eigenen Einsatzes zu Beginn der 80er Jahre kennengelernt. Auch ihn und seine Arbeit würde ich jederzeit anführen, wenn ich belegen sollte, dass es sehr wohl möglich ist, sinnvoll und mit nachhaltigem Erfolg Entwicklungshilfe zu leisten. Damals arbeitete er in Hinche, in der Hochebene nördlich der Hauptstadt. Gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern hatte er dort eine
Cassaverie
aufgebaut, eine genossenschaftliche Einrichtung zur Verarbeitung der Maniokwurzel. Mit diesem Grundnahrungsmittel können enorme Mengen von Kalorien auf kleiner Fläche produziert werden, und die Pflanze hat den Vorteil, ganzjährig geerntet werden zu können. Ihre Verarbeitung – bis hin zu den aus ihrem Mehl hergestellten Fladenbroten – ist aber eine enorme Plackerei und verbraucht außerdem viel kostbares Wasser. Zweck der kleinen Fabrik war es, durch gemeinschaftlich beschaffte und instand gehaltene Mühlen den Frauen das anstrengende Reiben der Wurzeln zu ersparen und durch ein ausgeklügeltes Heizungssystem für die Backöfen mit wenig Brennstoff die Fladen zu backen. Die Abfälle der Verarbeitung wurden zu Kompost verarbeitet, der wiederum mit dem Wasser bewässert wurde, das bei der Spülung der Cassava anfiel.
Philippe Teller hat mir 2003 einen Bericht geschickt, in dem über sieben Jahre Erfahrung mit der
Agroécologie
-Arbeit zusammengefasst sind. Er zeigt darin auf, wie sich durch diese neue Art, mit Boden, Wasser, Pflanzen und Tieren umzugehen, vor allem aber mit den Menschen, die davon leben, neue Perspektiven ergeben. Neu war sie deshalb, weil die haitianischen Bauern immer noch Landwirtschaft nach einem System betreiben, das 200 Jahre nach der Unabhängigkeit der Sklaven von ihren französischen Herren ans definitive Ende seines Funktionierens gekommen ist. Solange es noch genügend jungfräuliche Flächen gab, konnte man jede Parzelle so lange bearbeiten, bis sie
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