FOOD CRASH
Engagement war die Beobachtung, dass während der Mangosaison kaum Kinder krank wurden. In dieser Zeit werden überall diese köstlichen Früchte reif, von denen es in Haiti eine Vielfalt gibt, von der wir uns keine Vorstellung machen: kleine runde, große, lange, weiche und harte, die unglaublich süßen mit den langen Fasern, die sich zwischen die Zähne setzen – all diese Sorten stehen ein paar Wochen lang im Überfluss zur Verfügung. Selbst unsere Kinder – noch nicht schulreif und aus der Horde ihrer Spielkameraden weißblond herausleuchtend – hatten schnell gelernt, wie man die Mangos mit einem Stein aus dem Baum schießt, die Schale mit den Zähnen abzieht und dann, unter grässlicher Versauung der Hemden, das köstliche Fruchtfleisch in sich hineinschlürft. Entlang der Straßen sitzen Frauen und verkaufen Mangos, die in kunstvoll geformten Türmen vor ihnen liegen – nur versteht man nicht, wer sie eigentlich kaufen soll, weil es sie ja überall in Mengen gibt. Jeden Morgen gab es dann bei uns frisch gepressten Mangosaft – ein überirdischer Genuss. Aber nach ein paar Wochen war die Herrlichkeit vorbei. Die letzten Früchte vermoderten im Straßengraben und Mousson hatte wieder jede Menge Kinder zu behandeln, die Hautausschläge oder Rotznasen mit sich herumtrugen. Die haitianische Ärztin und ihr englischer Mann Sean Finnigan machten sich deshalb auf die Suche – in Indien und Ceylon, auf anderen Karibikinseln und in anderen Regionen Haitis. Mit Reisern (frischen Zweigen) von Mangosorten, die früher reif wurden als die lokalen Sorten oder aber erst nach der Saison, kamen sie zurück. Irgendjemand hatte ihnen außerdem beigebracht, wie man durch Pfropfen Obstbäume veredeln kann. Beides gaben sie jetzt weiter – die Reiser und die Technik.
Mousson und Sean hatten aber auch noch etwas anderes beobachtet: Der Bestand von Tausenden von Mangobäumen in der Ebene und in den Bergen der Region war dabei, sich merklich zu lichten. Schon jahrzehntelang war für die ärmsten der Bauern der Verkauf von Holzkohle als einzige Geldquelle übrig geblieben. Wo immer möglich, wurden Bäume geschlagen und am Ende sogar noch ihre Wurzeln ausgegraben, um daraus ein paar Säcke voll des staubigen, schwarzen Brennstoffs herzustellen, mit dem auch der Großteil der Städter ihr Essen zubereiten. Zunehmend gingen jetzt auch Mangobäume diesen Weg – denn der Luxus, von ihrem Schatten zu profitieren und einmal jährlich von ihren Früchten, war weniger wert als die Aussicht, wenigstens die nächsten Wochen vom Kohleverkauf überleben zu können. Mousson und Sean beschlossen, einen Schritt weiter zu gehen: Nicht nur sollte eine größere Sortenvielfalt die Mangosaison für die Eigenversorgung verlängern, sondern es musste auch ein Weg gefunden werden, die Bäume ökonomisch wertvoller zu machen, damit es sich mehr lohnte, sie stehen zu lassen und zu nutzen, statt sie umzuhacken. Sie ermutigten die Bauern, marktfähige Sorten, vor allem die großfrüchtige »Madam Fransik«, auf ihre Bäume zu pfropfen. Gleichzeitig mussten sie einen Verkauf organisieren, professionelle Verpackungen sowie Strategien für Transport und Absatz entwickeln. Das alles ist viele Jahre her. Heute sind 450 Erzeuger in der
Association de producteurs et de vendeurs de fruits du Sud
[96] organisiert, und ihre Früchte – mittlerweile sind auch Ananas, Papaya und Avocado hinzugekommen – werden nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in den USA verkauft. Wo Bauern leben, die in der Association wirtschaften, ist der Mangobaumbestand größer geworden. Schon im Jahr 2004 war die Zahl der neu gepflanzten Bäume des Projektes auf 25 000 angewachsen. Die Feldränder werden von Ananas-Hecken gesäumt, zwischen den schattenspendenden Bäumen im »lakou«, dem Bereich rund ums Wohnhaus, werden Avocados und Papayapflanzen in hohen Ehren gehalten, denn diese helfen den Menschen, zusätzliches Geld zu verdienen. Ein Mangobaum trägt jetzt jährlich 50 US- Dollar zum Familieneinkommen bei – das sind genau 50 Dollar mehr als zuvor.
Seit zwei Jahren werden die wegen fleckiger Schale oder sonstiger äußerer Fehler aussortierten Mangos in Streifen geschnitten und getrocknet. Da die in Mischkultur wachsenden Bäume außer mit der Wurzeldüngung durch Kompost ohne jeden weiteren Einsatz externer Betriebsmittel wachsen, ist eine Biozertifizierung möglich. Sie ist seit Herbst 2010 mit Hilfe von Naturland begonnen worden, um so eine höhere
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