FOOD CRASH
Betrieb auch dann anfallen, wenn ich nicht produziere (z.B. Gebäudeunterhaltung, Buchführung oder Strom). Der Rest, der dann noch bleibt, ist mein Gewinn. Mit dem Gewinn kann ich meinen privaten Lebensunterhalt bestreiten. Er muss darüber hinaus auch der Kapitalbildung meines Betriebes dienen.
Natürlich kann man nicht einfach den ganzen Betrieb auf das Produktionsverfahren oder die Frucht umstellen, die den höchsten Deckungsbeitrag verspricht – auf dem Acker war das damals die Zuckerrübe. Denn es gibt natürliche und betriebswirtschaftliche Begrenzungen: Wann steht wie viel Arbeits- und Maschinenkapazität zur Verfügung? Welchen Anteil an der Fruchtfolge darf eine Kultur maximal einnehmen? Und auch: Was kann ich am besten? Aber innerhalb dieser Begrenzungen ist es der Deckungsbeitrag, also der unter dem Strich erzielbare Geldertrag, der entscheidet, welche Produktionsverfahren oder Feldfrüchte meinen Betrieb und meine Äcker prägen. Immer häufiger führt diese Richtschnur in unseren Breiten zu extremer Spezialisierung, alles wird auf eine Karte gesetzt: Z.B. ist »Bullenmast-im-Stall-und-Mais-auf-dem-Feld-und-sonst-nichts« ein Modell, das in bestimmten Regionen Niederbayerns ganze Gemarkungen prägt.
In Niederbayern mag das gehen, jedenfalls so lange, wie staatliche Subventionen ein Grundeinkommen bieten. Und solange nicht Krisen, wie in den nicht sehr lange vergangenen Zeiten von BSE , enthüllen, wie zerbrechlich ein solches System der Monokultur ist. Und wenn ausgeblendet wird, wie es sich auf die Entwicklung von Lebensgrundlagen wie Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit auswirkt.
Die Realität der Kleinbauern Haitis – sie ist die gleiche wie in Lateinamerika, Afrika und Asien – jedoch verlangt andere Prioritäten. Die Abhängigkeit von wenigen Kulturen und Vermarktungsmöglichkeiten, von Düngerverkäufern und Kapitalgebern und am Ende auch von Verkäufern von Grundnahrungsmitteln, die man selbst nicht erzeugt, führt im Krisenfall ins Aus. Ökonomisch und sozial – wie das aussieht, haben wir bereits intensiv besprochen.
Agroécologie
setzt deshalb ganz bewusst auf andere Prioritäten als jene, die sich aus der Logik der Betriebswirtschaft ergeben:
Zuallererst geht es um die
Ernährung der Familie.
Es geht darum, den Hunger dauerhaft vor der Tür zu halten und Essen in der für eine gesunde Ernährung erforderlichen Vielfalt zu erzeugen.
Als Zweites geht es um die
Ernährung der Nutztiere.
Denn sie stellen die finanzielle Reserve der Familie dar. Auf die muss zurückgegriffen werden, wenn es eng wird: wenn Schulgeld zu zahlen oder ein Krankenhausaufenthalt zu finanzieren ist.
Als Drittes geht es um die
Ernährung des Bodens.
Er muss geschützt und gepflegt werden. Denn er ist die Grundlage für die Existenz.
Erst wenn es gelungen ist, diese Herausforderungen zu bestehen, geht es um die
Ernährung des Marktes.
Philippe Teller berichtet in seiner Bestandsaufnahme von 2003 von einer Befragung, die er bei einer gemeinsamen Evaluations-Tagung verschiedener
Agroécologie
-Gruppierungen unter den anwesenden Bäuerinnen und Bauern vorgenommen hat. Er wollte von ihnen wissen, woran man jemanden erkennt, der sich das beschriebene Produktionssystem zu eigen gemacht hat. Die Antworten drehten sich erwartungsgemäß stark um die oben geschilderten Maßnahmen. Dabei wurde deutlich, dass die Umsetzung in die Praxis sehr unterschiedlich aussieht, weil sie vor allem von den örtlichen Gegebenheiten abhängt. Außerdem gibt es vier weitere Erkennungsmerkmale, die nach Ansicht der Befragten eine Bauernfamilie auszeichnen, die auf
Agroécologie
setzt:
Das erste ist die
Wertschätzung frischer, lokal produzierter Lebensmittel.
Das klingt erstaunlich, sollte man doch annehmen, dass dem, der kaum etwas zu essen hat, jedes Lebensmittel wert und recht sein müsste. Doch das ist durchaus nicht so. So lassen sich selbst am Existenzminimum lebende Menschen in Haiti von der allerorts präsenten Werbung dazu verleiten, Pulvermilch für etwas zu halten, das ihren Babys besser bekommt als die der Mutter. Auch gilt das Fertigprodukt oder das Brot aus (importiertem) Weizenmehl als erstrebenswerter als die Früchte des eigenen Gartens. Insofern bildet die Erkenntnis, dass die dort erzielbare Vielfalt ein Reichtum und seine Nutzung ein Fortschritt ist, einen wichtigen Bewusstseinswandel ab. Der lässt sich im Übrigen auch daran festmachen, dass eine erste Erhebung in den Gruppierungen
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