FOOD CRASH
hin zum größten Laufkäfer. Die von (und aus) den Organismen und Ernteresten gebildete organische Masse, die von ihnen bewirkte Strukturierung der Bodenkrümel und der durch ihr Zusammenwirken gebildete Humus ist es, was die Bodenfruchtbarkeit ausmacht. Eine Sichtweise, die Boden nur als Substrat für die Fixierung von Wurzeln betrachtet und die auf die im Bodenwasser gelösten Nährstoffe und ihre Regulierung durch Kunstdünger begrenzt ist, übersieht das Wesentlichste: die essenzielle Bedeutung des Bodens als lebendigem, hoch organisiertem Organismus. Und nicht gerade unwichtig in diesem Zusammenhang: Darüber hinaus bildet der Aufbau von Humus eine CO ² -Senke, also eine Möglichkeit, das sich in der Atmosphäre anreichernde Klimagas dauerhaft zu binden. Neben dem unmittelbar sichtbaren Resultat der höheren Erträge führt die ökologische Variante in dem beschriebenen Beispiel noch zu einem weiteren Effekt, der für die Zukunft der Ernährung der Menschen im Tigray von durchschlagender Bedeutung sind: Die Anreicherung des Bodens mit Humus macht ihn stabiler gegen Erosion. Humus sorgt dafür, dass Niederschlagswasser versickert, anstatt oberflächlich abzulaufen, und hält die Feuchtigkeit noch lange, nachdem es zu regnen aufgehört hat. Viel mehr, als es die trockenheitsresistenten Pflanzen könnten, die zu entwickeln die Gentechnik-Industrie seit vielen Jahren verspricht, ist ein solches System, das auf Vielfalt und Bodenfruchtbarkeit setzt, in der Lage, die Extreme abzupuffern, die durch den Klimawandel immer häufiger den Verlauf der Witterung bestimmen.
Nach allem bisher Gesagten ist es fast überflüssig zu erwähnen, aber der Vollständigkeit halber muss man doch wiederholen, dass Bauern, die selbsterzeugten Kompost einsetzen, unabhängig bleiben: Sie brauchen kein Geld für Kunstdünger auszugeben, und sie brauchen sich nicht mit einem Problem herumzuärgern, das in Äthiopien offenbar viele konventionell wirtschaftende Bauern haben: die Unzuverlässigkeit der Logistik. Die führt nämlich oft dazu, dass die Düngemittel erst dann ausgeliefert werden, wenn der Zeitpunkt für ihre Anwendung bereits verstrichen ist.
Die FAO hat 2009 eine weitere Studie angestellt. Damit sollte geklärt werden, welche Hindernisse einer schnelleren Verbreitung dieses offensichtlich erfolgreichen Systems entgegenstehen. [104] Neben einer massiven Propaganda der staatlichen Landwirtschaftsberatung, die den Bauern erklärt, modern sei nur, wer Mineraldünger einsetzt, sehen die Wissenschaftler ein Problem, das sich sicherlich auch an anderen Orten ergibt: Da die Umstellung von konventionell auf ökologisch eben
nicht
aus dem schieren Weglassen der chemisch-synthetischen Betriebsmittel besteht, sondern in der Anwendung eines ganzen Systems an Maßnahmen, bedarf es einer Bewusstseinsbildung und Wissensvermittlung, die sich nicht von heute auf morgen ergibt. Techniken müssen gelernt, Erfahrungen gesammelt werden. Dass gerade jemand, dessen Existenz ständig auf der Kippe steht, Angst davor hat, ein System zu verlassen, das er kennt, um etwas Neues und damit Unsicheres zu beginnen, kann man sich sehr gut vorstellen. So ist es nicht verwunderlich, dass es auch hier, ähnlich wie auf den Philippinen und in Haiti, die in Gemeinschaften organisierten Bauern sind, die am ehesten eine Umstellung angehen.
Listig die Natur belauschen
Im Sommer 2010 hatte ich ein Streitgespräch zu absolvieren, das der
SPIEGEL
in einer Ausgabe seines Magazins SPIEGEL WISSEN veröffentlichte. Mein Widerpart in dem Doppel-Interview war ein Vorstandsmitglied der BASF , das für den Bereich der Agro-Gentechnik verantwortlich zeichnet, der Chemiker Dr. Stefan Marcinowski. Wie nicht anders zu erwarten, unterschieden sich unsere Positionen zur Einschätzung von Sicherheit und Stellenwert gentechnisch veränderter Pflanzen deutlich. Ganz zum Ende des Gespräches kamen wir an einen Punkt, den ich bemerkenswert fand. Marcinowski erklärte mir sinngemäß, er sehe es als seine Aufgabe an, einen Beitrag zur Ernährung dadurch zu leisten, dass man die Natur genau beobachte, um dann das, was man an Nützlichem gefunden hat, nachzubauen. Für mich war damit klar, wodurch sich unsere Sichtweisen so sehr unterschieden, dass wir zwangsläufig zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Denn für mich, so erklärte ich in dem Gespräch, ginge es auch darum, die Natur genau zu beobachten. Dann aber beginne der Unterschied: Der Zweck sei nämlich, herauszufinden,
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