Fool on the Hill
Lady...«
IV
»Hast du wirklich gedacht, du würdest hier den Himmel finden?« fragte Ruff, während er entlang des Hangs in südlicher Richtung trottete. Luther hielt mit ihm Schritt.
»Ich weiß, es klingt albern«, erwiderte der Mischling, »aber ich hoffte wirklich -«
»Es klingt ganz und gar nicht albern«, unterbrach ihn der Setter. »Nicht in meinen zotteligen Ohren. Ich finde das fabelhaft. Da ist alles dran, was zu einem richtigen Heldenepos gehört: Tapferkeit, Entschlossenheit, Edelmut, eine starke pathetische Komponente -«
»Heldenepos?«
»Hmm, tja... die Geschichte deiner Reisen, so wie sie gegenwärtig in Umlauf ist, hat zwar noch nicht direkt epische Dimensionen, aber mit der Zeit und ein paar weiteren Ausschmückungen... Du wirst noch staunen, Luther! Ein Hund, der den Himmel aufspüren will! Du bist der Stoff, aus dem Legenden sind.«
»Legenden? Aber hör mal, ich hab doch nicht nach dem Himmel gesucht, um berühmt zu werden!«
»Spielt keine Rolle. Die meisten berühmten Hunde der Vergangenheit strebten auch nicht nach Anerkennung. Es war gerade ihre Sehnsucht, ihr glühendes Verlangen nach etwas anderem, das sie berühmt machte. Die tragische Liebe von Packan und Isolde, von Rufus und Julia; Fido, der die Beutelratten aus dem Tempel vertrieb; Dog Quixotes Kampf gegen die Feuermelder; der Knochenroman...«
»Ich kenne keine einzige von diesen Geschichten«, sagte Luther. »Was war das letzte noch mal?«
»Der Knochenroman«, wiederholte Ruff. »In Fachkreisen nicht umsonst als ›Roman Romanorum‹ bezeichnet: Er erzählt nämlich nicht nur eine eigenständige, schon für sich genommen sehr hörenswerte Geschichte, sondern ist zugleich auch eine Allegorie so ziemlich jeder anderen Geschichte auf Erden.«
»Kannst du ihn mir erzählen?«
»Jetzt nicht. Er ist sehr lang - man braucht drei volle Tage, um ihn von Anfang bis Ende vorzutragen, und deshalb wird der Vortrag auch stets von einem besonderen Ritual begleitet. Es ist wirklich ein großes Ereignis. Wer weiß, etwas später im Jahr vielleicht ... aber heute kann ich dir immerhin ein bißchen darüber erzählen. Der Held der Geschichte heißt Jederhund, und er ist auf der Suche nach seiner verlorenen Liebe, dem Knochen - wart! Moment mal!«
Sie hatten das südliche Ende des Hangs erreicht und befanden sich nun unterhalb der Willard Straight Hall, nicht weit von der Laderampe der Oakenshields-Mensa entfernt. Ein großer Lieferwagen mit einem verchromten Hahn als Kühlerfigur stand mit dem Heck an der Rampe, und ein dicker Mann lud gerade einen Stapel blutbefleckter weißer Kartons ab. Selbst bei ungünstigem Wind wie jetzt war nicht schwer zu erraten, was sie enthielten.
»Zeit für Brunch«, kündigte Ruff an und leckte sich die Lefzen.
Luther musterte den dicken Mann. »Meinst du, er gibt uns Abfälle?«
Wieder hätte Ruff gelacht, wenn er gekonnt hätte. Statt dessen rannte er plötzlich auf die Rampe zu und überließ Luther der staunenden Betrachtung seiner Taten. Der Überraschungsangriff war ein voller Erfolg: Der Philosoph witschte dem LKW-Fahrer zwischen den Beinen durch und brachte ihn aus dem Gleichgewicht; dann stürzte er sich, während der Mann zu Boden ging, auf die gestapelten Pappschachteln. Die oberste wackelte, fiel herunter, öffnete sich beim Aufprall und verstreute rohe Hühnerhälften über die ganze Rampe.
»Jäss-ses!« rief der Dicke aus, der im ersten Augenblick gedacht hatte, ein tieffliegender Wirbelwind habe ihn umgefegt.
Erst als Ruff mit einem Hühnchen im Maul den Rückzug über den Liegenden antrat und dabei mit feuchter Pfote eine kugelige
Nase zerdrückte, begriff der Mann, was passiert war.
»O Nutzvogel«, sang der Setter, während er zu Luther zurückrannte und sich ein unablässiger Strom von Flüchen hinter ihm
über die Rampe ergoß. »O furchtloser Hühnerdieb o klopfendes Herz o Wasser-im-Munde o Brunch o herrliches Leben...«
V
Während draußen der Himmel heller wurde, erzählte Prediger Jinsei am Kamin, was er über Ragnaröks Kindheit wußte. Viel war es nicht; der Verteidigungsminister hatte noch nie viel von Herzensergüssen gehalten - nicht einmal vor engsten Freunden. Prediger erzählte ihr von Ragnaröks Vater, Drew Hyatt; davon, wie dessen Frau zwei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes an Knochenkrebs gestorben war; wie er sich mehr und mehr abgekapselt und zuletzt, als sein Sohn schon fast herangewachsen war, ausschließlich für seine abscheulichen
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