Fool on the Hill
allein zurechtkommen. Bitte, ich sag nicht, daß es ein Spaziergang für dich werden wird - der Weg ist länger, und du kannst sicher sein, daß Raaq dir noch nicht verziehen hat, daß du ihm entwischt bist. Aber wie gesagt, du wirst es schaffen.«
»Aber muß ich denn jetzt sofort weg?«
»Was hab ich dir immer gesagt? Hat es je einem Hund was eingebracht, eine schwere Aufgabe vor sich herzuschieben?«
»Nein«, erwiderte Luther bedrückt. »Aber -«
»Das war schon ein Aber zuviel, Luther. Jetzt -«
»Laß mich ausreden!« rief Luther mit einer für ihn völlig untypischen Heftigkeit. »Das Ganze - der Grund, weswegen ich überhaupt von zu Hause weg bin, war, dich wiederzufinden. Und jetzt, nachdem ich das alles durchgemacht habe, erscheinst du, bloß um mir zu sagen, daß ich den Ort verlassen soll, wo ich zum erstenmal in meinem Leben glücklich war.«
»Schneidig«, bemerkte Moses, der erstmals seit seinem plötzlichen Erscheinen gewisse Anzeichen von guter Laune zeigte. »Du hast dich verändert, Luther. Du bist nicht mehr das unschuldige Hundchen, das ich zurückgelassen hab. Ich wette, das war die Straße, die dich verändert hat - und wer weiß, vielleicht verändert sie dich sogar noch mehr, bevor alles vorbei ist. Aber so oder so, du brauchst mich nicht mehr.«
»Ich will mit dir Zusammensein. Wirst du mit mir gehen?«
»Ich werde dir zeigen, wo du die Witterung aufnehmen kannst. Ansonsten... nun ja, Luther, ich bin ein Geist. Wozu willst du denn noch Zeit mit mir vergeuden?«
»Ich hab dir doch gesagt...«
»Das ist rührend«, sagte Moses, »daß du mich so vermißt. Aber das ändert überhaupt nichts, weil du ganz einfach auf dem Holzweg warst. Du kannst nicht zu Fuß in den Himmel, Luther. Eines Tages kommt er vielleicht zu dir, aber -«
»Willst du damit sagen, daß das hier also auch nicht der Himmel ist?«
»Einen Rest Unschuld hast du dir also doch noch bewahrt. Natürlich ist das nicht der Himmel. Der Himmel ist völlig anders als alles, was du dir jemals vorstellen kannst, Luther. Genauso übrigens der Tod. Und was ein vernünftiger Hund ist, verplempert seine Zeit nicht damit, nach einem von beiden zu suchen.«
»Einer der Philosophen, die ich kennengelernt habe, hat mir mal gesagt, es sei gut, mit so etwas seine Zeit zu verplempern... so, fixen Ideen nachzulaufen. Besonders, wenn man sonst nichts mit sich anzufangen weiß.« »Na gut... wenn du sonst nichts mit dir anzufangen weißt. Aber ich hab dir doch grade gesagt, was du tun mußt, oder?« »Schon«, gab Luther zu. »Na also. Komm jetzt, ich zeig dir, wo’s losgeht.«
V
Zur selben Zeit, da Luther ein so merkwürdiges Wiedersehen mit seinem Erzeuger erlebte, war, viele hundert Kilometerweiter östlich, Rasferret der Engerling damit beschäftigt, eine eigene kleine Wiedersehensfeier zu veranstalten. Wiedersehen ist natürlich nicht ganz das richtige Wort; Wiederschöpfung wäre treffender. Auf dem Boten reitend, zog der Engerling in einen anderen Teil des Knochenackers um, fernab von der Stätte seiner langen Gefangenschaft. Als der Mond in einem kalten Bogen über den Horizont stieg, setzte er seine magischen Kräfte für eine Einberufung ein. Einige Stunden später, gegen Mitternacht (mittlerweile hatte sich Luther nach einem wehmütigen Abschied von Moses erneut auf die Reise gemacht), saß Rasferret auf einer hoch aufragenden rechteckigen Steinplatte mit der Aufschrift:
IM GEDENKEN
AN MEINEN INNIG GELIEBTEN MANN
HAROLD LAZARUS
1912-1957
VON SEINER LIEBENDEN FRAU
HERR SCHENKE IHM FRIEDEN
Wie schon erwähnt, krönte diesen Grabstein ein kleiner Wasserspeier. Auf dessen Schultern hatte es sich Rasferret bequem gemacht, und es wäre schwer gewesen zu sagen, wer von beiden den abscheulicheren Anblick bot: das kleine Steinmonstrum oder der Engerling. Der Bote hockte sich auf einen niedrigeren Stein in der Nähe. Als alles bereit war, brachte Rasferret sein Parlament mit einem stummen Befehl zum Schweigen.
Mehr als fünfzig Ratten hatten sich im Schnee um den Grabstein versammelt, wie dunkle Spuren eines Untiers anzusehen. Sie waren Rasferrets Aufruf gefolgt, und alle brachten, teils aus tiefen unterirdischen Gängen, teils aus Kellern und feuchten Abwasserrohren hervorkriechend, ein bißchen Abfall als Tribut mit: glänzende Metallteilchen, Drahtstückchen, Glasperlen, Knöchelchen. Nachdem sie ihren Platz eingenommen hatten, warteten sie nun darauf, umgestaltet zu werden, und die winzigen weißen
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